Die Stadt der schwarzen Schwestern
gewesen, als sie ihm sagen musste, dass ihre Brüder nicht zu Hause waren. Warum bloß? Sie fragte sich, was die beiden mit de Lijs zu schaffen hatten. Seit Vaters Tod lag das Geschäft brach wie ein ungenutzter Acker. Es war eine Schande, dass die Faulpelze sich nicht endlich aufrafften und an die Arbeit gingen. Ihre Leichtfertigkeit schien sie wieder mal in Schwierigkeiten gebracht zu haben. Nun trieben sie sich auch noch herum, anstatt ihre Verabredung mit de Lijs einzuhalten.
Pamela spürte, wie der Zorn sie packte. Der Tod ihres Vaters hatte die Familie schwer getroffen, doch Adam und Coen benahmen sich seit einiger Zeit vollkommen verantwortungslos. Ihr Neid auf Griet Marx machte sie blind für die Bedürfnisse ihrer Angehörigen. Pamela seufzte, als sie daran dachte, mit wie viel Tapferkeit die Witwe des Teppichwirkers ihr Schicksal in die Hand genommen hatte. Ein klein wenig Neid, das musste sie zugeben, empfand auch sie auf Griet. Ein eigenes Geschäft aus dem Nichts aufzubauen und mit Männern zu verhandeln, als sei es das Normalste auf der Welt, erforderte nicht nur Geschicklichkeit und Weitsicht, sondern auch Mut. Pamela brach der Schweiß aus, als sie sich vorstellte, von ihr würde etwas Ähnliches verlangt. Nein, dafür war sie nicht geschaffen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie gesund und hübsch war, während Griet mit ihrem lahmen Arm wohl darauf angewiesen war, Geld zu verdienen. Alles, was Pamela jetzt brauchte, war ein Ort, an dem sie genug Ruhe fand, um sich über ihre Zukunft klarzuwerden. Sie nahm sich vor, gleich morgen Uta zu besuchen und die Begine um Aufnahme in ihre Gemeinschaft zu bitten. Sie hatte genug Zeit damit verschwendet, auf einen Ehemann zu warten. Der Erlös des wertvollen Ringes mit dem Stadtwappen, den Griet für sie versichert hatte, würde gewiss helfen, ihr bei den Beginen ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ihre Mutter konnte es sich dann aussuchen, ob sie im Haus der Osterlamms zurückblieb und hoffte, dass Adam und Coen sich auf ihre Pflichten besannen, oder ob sie sich lieber ihr anschloss. Als Pamela klar wurde, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine eigene Entscheidung treffen würde, beschleunigte sie unwillkürlich ihre Schritte. Sie würde es ihren Brüdern sagen, sobald sie die beiden aufgespürt hatte. Sie durften sie nicht mehr aufhalten. Niemand durfte das.
Ihr Weg führte sie zunächst zur Wijngaardstraat, wo sie Griets Haus verschlossen vorfand. Niemand antwortete auf ihr Rufen. Das bedeutete, dass Griet noch nicht von ihrer Reise zurückgekehrt war, folglich konnte sie ihr den Ring auch nicht aushändigen. Verärgert starrte Pamela zu den dunklen Fenstern des Pförtnerinnenhauses hinauf. Warum öffnete Griets schwangere Dienerin nicht? Sie konnte bei diesem Wetter doch nicht mit Griets kleinem Jungen ausgegangen sein?
Pamelas Hochstimmung schwand, als sie sich auf den Heimweg machte. Wie gern hätte sie der Witwe von ihrer Entscheidung berichtet oder ihr zumindest eine Nachricht hinterlassen. Außerdem brauchte sie ihren Ring, sie konnte Uta nicht mit leeren Händen unter die Augen treten. Sie erwog, de Lijs aufzusuchen, er musste doch wissen, was ihre Brüder im Schilde führten. Sie musste Adam und Coen finden, bevor sie auf den Beginenhof umsiedelte.
Unvermittelt fiel ihr das alte Haus ein, das Adam vor einiger Zeit Griets Schwiegervater, dem Teppichwirker Marx, abgeschwatzt hatte. Ihre Mutter war über diesen Kauf sehr erbost gewesen, was Adam jedoch nicht davon abgehalten hatte, in die Familienkasse zu greifen. Es bescherte ihm Genugtuung, in der Teppichweberei herumzustolzieren und seine losen Mädchen in die Kammern einzuladen, die einst von Griet und ihrer Familie bewohnt worden waren. Was Adam mit dem Haus vorhatte, hatte er Pamela nicht gesagt. Freilich besaß das Grundstück mit seinen Gebäuden, Werkstätten und Stallungen einen gewissen Wert. Pamela wunderte sich nur, dass Jooris de Lijs nicht daran gedacht hatte, dort nach ihren Brüdern zu suchen.
Pamelas Herz klopfte heftig, als sie das alte Tor aufstieß. Es war das erste Mal, dass sie das Grundstück betrat, und das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, legte sich über sie. Adam hatte sie und ihre Mutter nie eingeladen, das Haus zu besichtigen. Wozu auch? Ihr Elternhaus war um ein Vielfaches komfortabler als die verstaubte Teppichweberei. Es hieß, der alte Marx habe gut gewirtschaftet, aber jeden Gulden Gewinn in sein Geschäft gesteckt, anstatt es sich zu Hause
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