Die Stadt der schwarzen Schwestern
wählte diejenigen aus, mit denen er etwas vorhatte. Nicht ein kleiner Gemeindepriester wie er.
Neben Don Luis und Griet galt seine Sorge der jungen Tochter der Osterlamms, die seit Wochen schon in der Schergenstube des Rathauses eingekerkert war. Er war der Einzige, dem der Statthalter die Erlaubnis gegeben hatte, sie zu besuchen. Er sollte sie zu einem Geständnis bewegen, doch sooft er das Mädchen aufsuchte, beteuerte dieses seine Unschuld und beschwor ihn, nach den Angehörigen der Witwe Marx zu suchen, die von demselben Unbekannten verschleppt worden seien, der auch ihre Brüder getötet habe. Pater Jakobus wusste allmählich nicht mehr, was und wem er glauben sollte. Merkwürdig fand er, dass der Statthalter die junge Osterlamm weder durch die peinliche Befragung zu einem Geständnis zwang noch einen Gerichtstag festlegte. In der Stadt redete man schon darüber und fragte sich verängstigt, wie lange der Mord noch ungesühnt bleiben sollte.
De Lijs und die Vorsteherin des Beginenhofes hatten Farnese diesbezüglich auch schon aufgesucht, waren aber von dessen spanischer Garde abgewiesen worden. Es hieß, der Fürst von Parma bereite sich darauf vor, im Frühling zu einem militärischen Schlag gegen Brügge und Gent auszuholen. Vor allem Gent, wo sich unter den Rittern Jan van Hembyze und Frans van Ryhove ein bedeutender calvinistischer Stützpunkt gebildet hatte, war Farnese ein Dorn im Auge. Er gab den Abgesandten der Schöffen mürrisch zu verstehen, dass seine Pflichten es ihm nicht erlaubten, sich mit der Stadt zu befassen, aber der Pater vermutete, dass mehr dahintersteckte. Margarethe von Parma, der Pater Jakobus von Zeit zu Zeit Botschaften nach Namur schickte, zeigte sich ebenso besorgt. Sie ermutigte ihn, das eingesperrte Mädchen weiterhin zu besuchen.
Der Priester wollte die Kirche gerade durch die Sakristei verlassen, als er sah, wie ein zerlumpter Junge durch die Tür des Hauptportals huschte. Der Kleine schaute sich suchend um. Pater Jakobus hatte das Kind nie zuvor in seiner Kirche gesehen, weswegen er beschloss, ihm entgegenzugehen. In diesen Kriegszeiten schreckten Diebe nicht einmal davor zurück, an heiligen Orten zu plündern. Noch bevor die Calvinisten die Herrschaft über die Stadt übernommen hatten, waren ganze Schwärme in das Gotteshaus eingebrochen. Sie hatten Statuen zerschlagen und Altäre verwüstet. Nur wenige Gegenstände hatten die Zerstörungswut der Menge heil überstanden.
«Was gibt es?», fragte Pater Jakobus barsch.
«Ich soll Euch in die Sakristei bitten. Dort wartet jemand auf Euch. Jemand, der eine Nachricht von Don Luis de Reon bei sich hat.»
«Don Luis, sagst du?» Pater Jakobus zögerte, dem fremden Jungen zu folgen, doch die Neugier siegte über seinen Argwohn. In der Sakristei staunte er, als er drei Frauen und einem Mädchen gegenüberstand. Die Frauen trugen einfache Röcke und Schultertücher, die sie sich zum Schutz vor der Kälte über die Köpfe gezogen hatten. Eine der Frauen trat nun auf ihn zu. Nachdem sie ihr Tuch abgenommen hatte, sah er, dass es die Witwe Marx war.
«Ihr?», rief Pater Jakobus. Er ergriff Griets Hände. «Ihr seid also zurückgekommen, gepriesen sei der Herr. Und wo ist Don Luis? Was habt Ihr über die schwarzen Schwestern herausgefunden?»
«Die schwarzen Schwestern sind tot», sagte Griet leise. «Ein Mann, den wir nur als den Pilger kennen, hat sie töten lassen. Ich vermute, Ihr wisst, weshalb.»
Entsetzt bekreuzigte sich der Pater. So wie die Frau ihn ansah, musste der Tod der Frauen mit dem Buch des Aufrechten in Verbindung stehen. Er erinnerte sich an den Brief, den Don Luis ihm geschickt hatte.
«Eine schwarze Schwester hat überlebt», holte Griets Stimme den alten Mann aus seinen Gedanken. «Sie hat mich hierher begleitet.»
«Ich freue mich, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen, Hochwürden!»
Diese Stimme. Pater Jakobus zuckte freudig erregt zusammen. Er würde sie niemals vergessen. «Cäcilia? Beim Bild der heiligen Muttergottes von Brügge, ist das wahr? Ihr gehört zu den schwarzen Schwestern?»
Cäcilia ergriff die ausgestreckte Hand des Priesters, über dessen Wangen nun vor Rührung Tränen liefen. Dann sagte sie: «Ich bin Euch dankbar, dass Ihr meinem Sohn hier in Flandern ein so guter Freund gewesen seid. Vermutlich hat er es Euch nicht leicht gemacht. Er ist immer noch ein aufbrausender Bursche. Temperamentvoll, aber gerecht und stolz wie sein Vater.» Sie schmunzelte, wobei ihr Blick Griet
Weitere Kostenlose Bücher