Die Stadt der schwarzen Schwestern
bitteren Geschmack im Mund. So schlecht hatte sie sich zuletzt gefühlt, als Basse sich angekündigt hatte. Aber schwanger konnte sie nicht sein. Geschwächt schlüpfte sie in Mieder und Rock, band ihr Haar zu einem Zopf und spritzte sich ein paar Tropfen eiskaltes Wasser ins Gesicht.
In der Stube war niemand außer Beelken, die gerade damit beschäftigt war, Basse zu füttern. Als der kleine Junge seine Mutter sah, rief er «satt», streckte ihr beide Ärmchen entgegen und strahlte übers ganze Gesicht.
Griet küsste ihn auf die Wange und sog dabei glückselig den süßlichen Duft ein, der dem Kind immer noch anhaftete. Niemand auf der Welt, fand Griet, roch so gut wie Basse. Als sie sich zu Beelken setzte, die mit einem Holzlöffel Breireste aus der Schüssel kratzte, fiel ihr auf, wie bleich das Mädchen war. Ihre Hände sahen geschwollen aus und zitterten leicht. Basse hatte nun genug. Er kniff heftig den Mund zu und blies die Backen auf.
«Macht nichts, die Schüssel ist fast leer», erklärte Beelken, als ob Griet eine Rechtfertigung verlangt hätte. Sie trug das Geschirr zum Spülstein und ließ etwas Wasser darüberlaufen.
«Bist du krank, Beelken?», erkundigte sich Griet. Ihr besorgter Blick fiel auf Basse, der aber vergnügt auf seinem Schemel hockte. Ihm schien es gutzugehen. Er hatte den Holzlöffel erbeutet und schleckte ihn nun doch ab.
Die junge Frau zuckte zusammen. Einen Moment lang schien sie nach einer Antwort oder einer Ausrede zu suchen, bevor sie die Schultern hob und resigniert antwortete: «Ich erwarte ein Kind, wenn Ihr es genau wissen wollt.»
Griet erschrak. Dieses schmächtige Mädchen wirkte in seinem weiten Schnürrock und dem geflickten Kittel, der aus Hannas Kleidertruhe stammte, doch selbst noch wie ein Kind. «Ach du liebe Güte, weiß meine Schwiegermutter schon davon?»
«Nein», flüsterte Beelken. «Bitte verratet mich nicht, Frau Griet. Die alte Meisterin wird mich fortjagen, wenn ich es ihr sage.»
Griet fand, dass Beelken übertrieb; so gut wie sie hatte es noch keine Dienstmagd im Haus gehabt. Da die Stimmung ihrer Schwiegermutter in letzter Zeit jedoch häufiger schwankte, war Beelkens Angst vielleicht nicht ganz unbegründet. Hanna Marx war nicht mehr die Jüngste. Sie und Frans würden künftig ihre ganze Kraft brauchen, um ein neues Geschäft in Antwerpen aufzubauen. Über eine schwangere Magd würde keiner von beiden glücklich sein. Blieb Griet, wie sie es sich vorgenommen hatte, in Oudenaarde, so würden Frans und Hanna auch keine Verwendung mehr für eine Kinderfrau haben.
«Wer ist der Vater?», fragte Griet vorsichtig. «Einer der Teppichwirker? Oder …» Sie wurde bleich. Konnte es sein, dass sich einer der spanischen Soldaten, die überall durch die Stadt streiften, an Beelken herangemacht hatte? Als sie Beelken mit ihrem Verdacht konfrontierte, errötete diese.
«Ihr erinnert Euch doch noch an den Morgen, als uns die Spanier aus dem Haus holten und zum Grote Markt trieben», erzählte sie stockend. «Da ist es passiert. Einer der Söldner hat mich in die Kammer zurückgestoßen, als alle anderen schon draußen waren, und …» Sie sprach nicht weiter. Genau wie Griet blickte auch Beelken einer ungewissen Zukunft entgegen. Kein Wunder, dass sie wie ein Gespenst durchs Haus huschte und sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtete.
Den Verlust ihrer Teppiche bemerkte Griet erst am späten Nachmittag. Als sie sie im Gewölbe nicht mehr fand, wurde ihr klar, dass Frans keine Zeit verloren hatte. Er hatte sie fortgeschafft, während sie geschlafen hatte. Wütend über ihre eigene Dummheit, schlug sie gegen die Wand. Sie hätte die Teppiche im Auge behalten, wenn nötig sogar im Gewölbe übernachten müssen. Doch hätte das geholfen? Zur Not hätte Frans einen Knecht gerufen, um sie wie einen Sack Mehl hinausschleppen zu lassen. Er hätte sich von einer Frau nicht aufhalten lassen.
Niedergeschlagen sank sie auf den Steinboden. Ihr Schädel brummte. Es dauerte lange, bis sie wieder fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn sie Frans richtig verstanden hatte, dann würde de Lijs die Teppiche zum Statthalter bringen. Er würde warten, bis es dunkel war, und sich dann zum Grote Markt begeben, vermutlich sogar verkleidet. Die Teppiche würde er gut verstecken.
Griet sprang auf. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Die Alexanderteppiche gehörten ihr. Ihr allein. Sie brauchte sie, um mit Basse in Oudenaarde zu überleben, nachdem Frans und Hanna die
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