Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
dunkel, sie und das Kind an ihrer Hand bereits in der Kirche gesehen zu haben, doch erst als sie ihm den Brief übergab, wusste er, wo sie hingehörte. Freundlich erkundigte er sich nach Griets Befinden. Als er hörte, dass sie gemeinsam mit Don Luis durch die Ardennen zog, um nach den verschwundenen schwarzen Schwestern zu suchen, seufzte er.
    «Ich nehme an, meine Herrin und Don Luis brauchen Eure Hilfe», sagte Beelken schüchtern. Coen Osterlamm hatte ihr mit keiner Silbe verraten, was in dem Brief stand, doch insgeheim hegte sie die Hoffnung, Pater Jakobus würde sich als gesprächiger erweisen. Tatsächlich faltete der Geistliche sogleich das Schreiben auseinander; auf das zerbrochene Siegel ging er mit keinem Wort ein.
    «Das Schreiben stammt nicht von deiner Herrin, sondern von meinem Freund Don Luis», erklärte der alte Mann, nachdem er sich in die Zeilen vertieft hatte. «Er bittet mich wirklich um Hilfe. Allem Anschein nach ist er auf der Suche nach einem sehr kostbaren Buch, das den Titel Buch des Aufrechten trägt.»
    Er verzog das Gesicht, dann fuhr er sich mit der Hand einige Male über die Stirn, als habe ihn plötzlicher Schwindel überfallen. Besorgt machte Beelken einen Schritt auf ihn zu. «Ist Euch nicht wohl?»
    «Wie? Oh doch. Es ist nichts. Ich verstehe nur nicht …» Er schüttelte ratlos den Kopf. «Ich dachte, deine Herrin und Don Luis seien auf der Suche nach den Nonnen, die in Oudenaarde erwartet werden, und nun lese ich etwas von einem Buch, das …» Anstatt weiterzureden, ging Pater Jakobus zu einem Brokatvorhang, der mit einem Heiligenmotiv geschmückt war. Dahinter befand sich eine Nische, in der der Messwein verwahrt wurde. Beelken hörte, wie der alte Mann ein kurzes Gebet murmelte, offenbar wollte er sein Gewissen erleichtern, bevor er sich an dem Wein vergriff. Er musste sich einfach stärken, und der Weg hinüber zum Pfarrhaus war zu weit.
    «Hast du jemals etwas von diesem Buch gehört?», wollte er von Beelken wissen. Noch ehe sie antworten konnte, hob er abwehrend die Hand. «Nein, natürlich nicht. Wie sollte ein Dienstmädchen etwas von Dingen wissen, die nicht einmal dem Heiligen Vater in Rom, seinen Kardinälen und den gelehrten Herren der Universitäten Sorbonne und Padua bekannt sein dürften.» Er kicherte plötzlich. «Eher würde ich annehmen, dieser Martin Luther könnte davon gehört haben. Aber nein, auch das ist unmöglich. Für die Protestanten gilt die Lehre sola scriptura . Allein die Schrift reicht für sie aus, um hinter die Geheimnisse Gottes zu kommen. Damit meinen die sogenannten Reformatoren die uns bekannten Bücher der Heiligen Schrift.»
    «Und dieses Buch, von dem in Don Luis’ Brief die Rede ist? Ist es Euch bekannt?»
    Pater Jakobus schüttelte den Kopf. Er sah ängstlich aus, als lauere zwischen den Zeilen des Briefes, den er gerade gelesen hatte, ein dunkler Schatten. «Ich bin kein Experte für verlorene Schriften der Bibel», sagte er. «Es gibt allerdings Gelehrte, die der Ansicht sind, dass der Kanon, den der Priester für das ungebildete Laienvolk auslegt, nur einen geringen Teil des eigentlichen Gotteswortes beinhaltet.»
    Beelken hörte Pater Jakobus staunend zu, wie dieser sie über die Ansichten von Ketzern belehrte, die steif und fest darauf beharrten, von der Existenz weiterer Bücher der Bibel zu wissen. Bücher, die einst verlorengegangen waren oder wissentlich entfernt wurden, weil ihr Inhalt den früheren Päpsten und Kirchenvätern nicht gefiel und sie ihn für gefährlich einstuften.
    «Das Buch des Aufrechten gehört auch zu diesen verbotenen Schriften. Ich kann Don Luis und deiner Herrin nur dringend ans Herz legen, sich nicht damit zu befassen. Sie riskieren ihr Seelenheil und rufen die Inquisition auf den Plan.» Er seufzte. «Aber sie werden natürlich nicht auf mich hören, so viel ist sicher. Und sie warten auf eine Nachricht von mir. Ich soll sie ihnen nach Hertoginnedal schicken, dort gibt es noch ein Nonnenkloster.»
    Beelkens Mund war so trocken, als hätte sie tagelang keinen Schluck getrunken. Sie musste gehen; Griets Vater fragte sich gewiss schon, wo sie und Basse so lange waren.
    «Aber Ihr werdet meiner Herrin doch helfen?», erkundigte sie sich mit ängstlicher Stimme. Sie erwog einen Augenblick, den Priester zu bitten, ihr drüben in der Kirche die Beichte abzunehmen. Es wäre eine Befreiung gewesen, sich alles, was sie plagte, von der Seele zu reden, einschließlich der Tatsache, dass sie Coen Osterlamm

Weitere Kostenlose Bücher