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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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Hyperboreas, schrak aus seinen verträumten Gedanken auf beim Gekeife der unheimlichen, zikadenhaft zirpenden Stimme. Er bedachte den Bittsteller mit einem missgelaunten, mürrischen Blick. Die Betrachtungen, denen er an jenem Abend auf dem Heimweg nachgehangen hatte, waren aufs Köstlichste erfüllt gewesen vom Glanz wertvoller Metalle, von Münzen und Barren aus Silber und Gold und vom Glühen und Glitzern vielfarbiger Edelsteine, die sich als Rinnsale, Ströme und Sturzbäche in die Schatullen Avoosl Wuthoqquans ergossen. Nun war die Vision verflogen – und diese unerbetene und zudringliche Stimme begehrte Almosen.
    »Ich gebe nichts.« Avoosl Wuthoqquans Stimme hörte sich an, als schnappte ein Tresorschloss zu.
    »Nur zwei Pazoor, o Großmütiger, und ich will dir die Zukunft enthüllen!«
    Avoosl Wuthoqquan musterte den Bettler genauer. Noch nie, während all seiner Fahrten durch Commoriom nicht, war ihm ein derartig schäbiges Exemplar der Bettlerzunft unter die Augen gekommen. Der Mann besaß ein widernatürlich hohes Alter und seine mumienbraune Haut war, wo immer sie hervorschien, durchfurcht von Falten und Runzeln, die dem dicht gewobenen Netz einer riesigen Urwaldspinne glichen. Der Zustand der Lumpen, die er am Leibe trug, grenzte ans Sagenhafte, und sein Bartgestrüpp, das sich herabwuchernd mit den Lumpen verfilzte, war altersgrau wie das Mooskleid eines urzeitlichen Wacholderstrunks.
    »Ich bedarf deiner Orakel nicht.«
    »Wenigstens einen einzigen Pazoor! «
    »Nein!«
    Tief in ihren dunklen Höhlen nahmen die Augen des Bettlers einen bösen, heimtückischen Ausdruck an, gleich den Köpfen zweier giftiger kleiner Nattern, die in ihren Nestern erwachen.
    »Dann also, o Avoosl Wuthoqquan«, zischte er gepresst, »dann also sollst du deine Zukunft ganz umsonst erfahren. So vernimm denn dein Schicksal: Die gottlose und unmäßige Leidenschaft, die dich an alle weltlichen Güter fesselt, und deine Gier nach ihnen, werden dir eine befremdliche Suche aufbürden und dich in ein Verderben führen, welches weder die kalten Augen der Nacht noch das feurige Auge des Tages als Zeugen hat. Verborgene Schätze der Erde werden dich verlocken und verleiten; und zum Schluss wird dich die Erde selbst verschlingen.«
    »Fort mit dir«, versetzte Avoosl Wuthoqquan. »Erst prophezeist du geheimnisvolle Vorgänge, die mehr als nur eine Kleinigkeit zu vage sind – und zum Schluss ein Ende, das mir doch arg banal erscheint. Ich brauche keinen Bettler, um mir das gewöhnliche Los aller Sterblichen verkünden zu lassen.«
    II
    Es war viele Monde später in jenem Jahr, das vor der großen Eiszeit als das Jahr des Schwarzen Tigers in die Annalen der Geschichtsschreibung einging.
    Avoosl Wuthoqquan saß in einem Zimmer im Erdgeschoss seines Hauses, das zugleich zur Abwicklung seiner Geschäfte diente. Das flüchtige, durchscheinende Gold der rot versinkenden Sonne durchwob den Raum in schrägen Strahlen, die durch ein Kristallglasfenster brachen, eine Spirale farbenprächtiger Funken in der juwelenbesetzten, von Kupferketten gehaltenen Lampe entzündeten und die verschlungenen Fäden aus gesponnenem Silber und Blattgold in den dunklen Wandbehängen durch ihre Berührung zu feurigem Leben erweckten. Avoosl Wuthoqquan, der in einem erdfarbenen Schattenwinkel jenseits der Insel aus Licht Platz genommen hatte, blickte mit einem Anflug von Spott in der geschäftsmäßigen Miene auf seinen Kunden, dessen braun gebranntes Gesicht und dunkler Mantel vom ersterbenden Glanz des Tages in Gold getaucht wurden.
    Der Mann war ein Fremder. Vielleicht ein reisender Kaufmann aus fernen Landen, überlegte der Wucherer – oder ein Fremdländer von weniger ehrbarer Profession. Seine schmalen, schräg geschnittenen, beryllgrünen Augen, sein bläulich schimmernder, struppiger Bart und der wenig elegante Schnitt seiner abgetragenen Kleidung jedenfalls bezeugten hinlänglich, dass er nicht aus Commoriom stammte.
    »Dreihundert Djal sind eine beachtliche Summe«, sprach der Geldverleiher bedächtig. »Zudem kenne ich Euch nicht. Welche Sicherheit habt Ihr zu bieten?«
    Der Besucher zog einen kleinen Beutel aus Tigerfell unter dem Oberteil seines Gewandes hervor, der mit einer Sehne zugeschnürt war. Und indem er den Beutel mit rascher Hand öffnete, ließ er zwei ungeschliffene Smaragde von enormer Größe und makelloser Reinheit vor Avoosl Wuthoqquan auf den Tisch rollen. Im Innern der Edelsteine entbrannte ein kaltes, eisig-grünes Feuer, als sie

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