Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
Über dem Urwald stieg groß und bernsteinfarben der Vollmond auf und begann den Pfad des Verfolgers zu erhellen.
Commoriom lag jetzt weit zurück. Keine Behausungen säumten mehr die einsame Waldstraße, noch war außer dem Wucherer selbst eine Menschenseele unterwegs. Avoosl Wuthoqquan schauderte – entweder aus Furcht oder wegen der kalten Nachtluft, dennoch ließ er in seinem Verfolgungseifer nicht nach. Er holte auf gegenüber den Smaragden, sehr langsam, aber merklich – und er fühlte, dass er sie bald schon wieder an sich bringen würde.
Derartig beansprucht war er von seiner gespenstischen Aufholjagd und derart gebannt war sein Blick auf die unentwegt vorwärts kullernden Edelsteine geheftet, dass er gar nicht bemerkte, wie er längst von der offenen Landstraße abgekommen war. Irgendwie, irgendwo hatte er einen schmalen Nebenpfad eingeschlagen, der sich inmitten monströser Bäume dahinschlängelte, deren Blattwerk vom Mondlicht in ein quecksilberhelles Geflecht voll fantastischer, ebenholzschwarzer Einsprengsel verwandelt wurde. Sich in grotesker Drohung vorneigend gleich gigantischen Gladiatoren mit Fangnetzen, schienen sie von allen Seiten auf ihn einzudringen. Doch der Geldverleiher bemerkte die schattenhafte Bedrohung nicht und beachtete nicht die finstere Fremdartigkeit und Einsamkeit des Urwaldpfades, noch die dumpfig feuchten Gerüche, die unterhalb der Bäume nisteten gleich unsichtbaren Tümpeln.
Näher und näher rückte er den flüchtenden Juwelen, bis sie aufreizend knapp außerhalb seiner Reichweite dahinglitten und glitzerten wie zwei grünlich glühende Augen, die ihm ködernde Blicke voller Neckerei und Spott zuwarfen. Schon sammelte er seine letzten Kräfte für einen heroischen, alles wagenden Hechtsprung nach den widerspenstigen Steinen – da entschwanden sie so plötzlich außer Sicht, als hätten die Urwaldschatten sie verschlungen, die wie gescheckte Riesenschlangen quer über dem mondbeschienenen Pfad lagen.
Wie vor die Stirn geschlagen blieb Avoosl Wuthoqquan stehen und starrte fassungslos auf die Stelle, wo die Edelsteine scheinbar vom Erdboden verschluckt worden waren. Er sah, dass der Pfad in einen Höhleneingang mündete, der schwarz und stumm vor ihm gähnte und in unbekannte unterirdische Tiefen hinabführte. Es war eine zweifelhafte und verdächtig wirkende Höhle, deren Öffnung spitze Felszacken säumten gleich bleckenden Zähnen, und die umrahmt war von Fransen aus eigenartigen Gräsern, die an Bartgestrüpp gemahnten. In einem seiner kühler denkenden Momente hätte Avoosl Wuthoqquan lange gezögert, bevor er diese Höhle betreten hätte. Doch gerade jetzt war er ausschließlich vom Fieber seiner Jagd und dem Ansporn seiner Habsucht beseelt.
Die Höhle, die seine Smaragde auf so ruchlose Weise verschluckt hatte, führte jäh und steil in die Finsternis hinab. Sie war niedrig und eng und glitschig vor übel riechenden Ausflüssen. Trotzdem fasste der Geldverleiher frischen Mut. Denn als er ein wenig tiefer vordrang, erhaschte er einen flüchtigen Schimmer der funkelnden Juwelen, die unter ihm in der schwarzen Luft zu schweben schienen, als wollten sie ihm voranleuchten. Der Abstieg mündete in einen ebenen, windungsreichen Stollen, in dem Avoosl Wuthoqquan sein flüchtendes Eigentum abermals einzuholen begann – und neue Hoffnung entbrannte in seiner keuchenden Brust.
Wieder waren die Smaragde zum Greifen nah … Doch als der Stollen eine jähe Kehre nahm, verschwanden sie wie von Zauberhand aus Avoosl Wuthoqquans Blick. Er folgte der Biegung – und blieb so abrupt stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Einige Augenblicke lang stand er geblendet in dem fahlen, rätselhaften, bläulich schillernden Licht, das aus Decke und Wänden der gewaltigen Felskammer strömte, die sich vor ihm aufgetan hatte. Und mehr als nur geblendet, ja geradezu betäubt an allen Sinnen wurde er von dem märchenhaften Farbenglanz, der unmittelbar zu seinen Füßen flammte und loderte und funkelte und gleißte.
Er stand auf einem schmalen Felssims, und die gesamte Kammer, die sich vor seinen Augen und ihm zu Füßen erstreckte, war fast bis zu diesem Sims hinauf so reich mit Juwelen angefüllt wie eine Kornkammer mit Korn gefüllt ist! Es war, als hätte man sämtliche Rubine, Opale, Berylle, Diamanten, Amethyste, Smaragde, Chrysolite und Saphire des Erdballs zusammengescheffelt und in eine einzige, gewaltige Grube geschüttet. Avoosl Wuthoqquan glaubte, seine eigenen beiden
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