Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
Wuthoqquan hatte sie weder berührt noch auf andere Weise aus ihrer Ordnung gebracht – begannen die beiden großen Smaragde auf der glatten, ebenen Tischplatte aus schwarzem Ogga-Holz loszurollen und sich von ihren Gefährten zu entfernen. Ehe der verblüffte Geldverleiher seine Hand ausstrecken konnte, um sie aufzuhalten, waren sie von der Tischkante gefallen und mit einem gedämpften Klackern auf dem Teppichboden gelandet.
Damit bewiesen sie ein außerordentlich seltsames und befremdliches, ja ein unbegreifliches Verhalten – doch der Wucherer sprang auf die Füße, ohne an etwas anderes zu denken als an die Rückerlangung der Juwelen. Er eilte um den Tisch herum und sah gerade noch, dass die Steine ihre rätselhafte, rollende Flucht fortsetzten. Soeben entschlüpften sie durch die Außentür, die der Fremde beim Fortgehen spaltbreit offen gelassen hatte. Diese Tür mündete in einen Innenhof, der Innenhof aber führte hinaus auf die Straßen von Commoriom.
Avoosl Wuthoqquan war zutiefst erschrocken, wenn auch mehr wegen der Gefahr die Smaragde einzubüßen als aufgrund der unheimlichen und rätselhaften Art ihres Abgangs. Er trat die Verfolgung mit einer Behendigkeit an, die ihm nur wenige zugetraut hätten. Schon stieß er die Tür auf und sah, wie die flüchtigen Smaragde unfassbar leicht und rasch über das bucklige, grob gefügte Pflaster des Innenhofs glitten. Das Grau der Dämmerung verdichtete sich bereits zum Blau der Nacht, doch die Edelsteine waren von einem sonderbaren, eigenständigen Glanz umspielt und schienen ihm spottend zuzublinzeln, als er ihnen nachsetzte. Deutlich sichtbar im Dunkeln ließen sie das angelehnte Tor zurück, das auf eine der Hauptstraßen führte, und kullerten auf und davon.
In Avoosl Wuthoqquan dämmerte die Erkenntnis, dass die Edelsteine verhext waren. Doch selbst im Angesicht dunkler Zauberei war er nicht willens, etwas aufzugeben, für das er die beachtliche Summe von zweihundert Djal geopfert hatte. Mit einem raubtiergleichen Sprung erreichte er die offene Straße, wo er nur kurz innehielt, um sich der Richtung zu vergewissern, in die seine Smaragde entwichen.
Die dunkle Allee lag fast verlassen da, denn um jene Stunde saßen die ehrbaren Bürger von Commoriom beim Verzehr ihrer Abendmahlzeit. Die Juwelen beschleunigten ihre Flucht. Indem sie über den Boden flippten wie Kiesel beim Steineschnellen, schossen sie nach links davon, in Richtung der weniger respektablen Vorstädte und der üppigen Dschungelwildnis, die sich dahinter ausdehnte. Avoosl Wuthoqquan erkannte, dass er die Anstrengung seiner Jagd verdoppeln musste, wenn er seine Edelsteine einholen wollte.
Tapfer um Atem ringend unter der für ihn ungewohnten Anstrengung nahm er die Verfolgung wieder auf; doch allem Schnaufen und Keuchen zum Trotz, blieben die Juwelen ihm mit einer geradezu aufreizenden Mühelosigkeit und gespenstischen Hartnäckigkeit in immergleichem Abstand voraus, wobei sie sich zuweilen mit melodischem Klirren vom Pflaster abstießen. Der erbitterte und fassungslose Wucherer war bald völlig außer Atem. Gezwungen, sein Tempo zu vermindern, fürchtete er schon, die flüchtenden Edelsteine aus den Augen zu verlieren. Doch zu seinem Erstaunen strebten sie von nun an deutlich langsamer vorwärts, passten ihre Geschwindigkeit seiner eigenen an und wahrten einen stets gleichbleibenden Vorsprung.
Verzweiflung übermannte den Geldverleiher. Der Fluchtweg der Smaragde führte ihn in einen Außenbezirk von Commoriom, wo Diebe und Mörder und Bettler hausten. Hier traf er auf einige abendliche Herumtreiber, ausnahmslos zweifelhafte Gestalten, die entgeistert auf die fliehenden Steine starrten, jedoch keinen Versuch unternahmen, sie aufzuhalten. Dann wurden die schmutzigen Behausungen, zwischen denen der Verfolger dahineilte, zunehmend kläglicher und standen immer weiter auseinander. Bald schon waren es nur noch vereinzelte Hütten, die unter den tief hängenden Wedeln mächtiger Palmen kauerten und aus denen hie und da verstohlener Lichtschein in die jetzt nachtschwarze Dunkelheit hinausfiel.
Noch immer deutlich sichtbar und eine spöttische Phosphoreszenz ausstrahlend, flohen die Juwelen vor ihrem Häscher über die dunkle Straße dahin. Dennoch schien es jenem, als holte er bescheiden zu ihnen auf. Seine wabbeligen Beine und sein schwabbelnder Leib versagten schon fast vor Erschöpfung, zudem quälte ihn Atemnot, doch drängte er in auflebender Hoffnung weiter voran, hechelnd vor Habgier.
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