Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
Augen war ebenso unbeteiligt wie der Blick aus Stein gehauener Sphinxen und nicht ein einziger Laut entrang sich ihren gerade geschnittenen, vollen, ausdruckslosen Lippen. Vielleicht fehlt ihnen der Gehörsinn, denn an ihren merkwürdigen, nahezu rechteckigen Köpfen findet sich nichts, was nach Ohren aussieht.
Ich folgte der Musik, die immer noch entfernt klang und kaum an Lautstärke zunahm. Schon bald überholten mich einige jener Geschöpfe, denen ich zuvor auf der Straße außerhalb der Mauern begegnet war; rasch schritten sie an mir vorüber und verschwanden im Gewirr der Bauten. Ihnen folgten andere Wesen, nicht ganz so gigantisch und ohne glänzende Schuppen oder Panzerung, wie ihre Vorgänger sie trugen. Anschließend erschienen über mir zwei Kreaturen mit langen, durchsichtigen, von einem feinen Adernetz und Knochengerüst durchzogenen, blutfarbenen Schwingen. Sie flogen Seite an Seite und entschwanden im Gefolge von anderen. Ihre Gesichter wiesen Organe auf, deren Zweck mir nicht klar wurde, doch sie wirkten keineswegs tierhaft und ich war mir sicher, dass es sich um Wesen einer höheren Entwicklungsstufe handelte.
Ich sah Hunderte jener gemessen einherschreitenden, ernsten Wesen, die ich bereits als die eigentlichen Bewohner der Stadt ausgemacht hatte, doch keinem von ihnen schien ich aufzufallen. Zweifellos waren sie den Anblick weit seltsamerer und ungewöhnlicherer Lebensformen als der menschlichen gewöhnt. Während ich meinen Weg fortsetzte, zogen Dutzende kurios aussehender Kreaturen an mir vorüber. Alle gingen in dieselbe Richtung wie ich, so als würden auch sie von dem Sirenengesang angezogen.
Der fernen, ätherischen, berauschenden Melodie folgend, begab ich mich tiefer und tiefer in den Dschungel jener monumentalen Bauten. Schon bald bemerkte ich, über einen Zeitraum von zehn Minuten hinweg, vielleicht auch länger, ein allmähliches Auf- und Abschwellen der Melodie. Fast unmerklich klang sie mit einem Mal lieblicher und näher, und ich fragte mich, wie es wohl angehen mochte, dass sie das vielfältige Gewirr steinerner Gebäude durchdringen konnte und noch außerhalb der Stadtmauern zu hören war …
In der nicht enden wollenden Düsternis der sich Etage um Etage schier unendlich in den bernsteinfarbenen Himmel über mir türmenden rechtwinkligen Konstruktionen muss ich kilometerweit gelaufen sein. Schließlich kam ich zum geheimsten Zentrum des Ganzen. Mir voran ging eine ganze Reihe jener chimärenhaften Wesen und etliche folgten mir, als ich auf einen großen Platz gelangte, in dessen Mitte sich ein tempelartiges Bauwerk erhob, das noch gewaltiger war als die übrigen. Aus seinem von unzähligen Säulen gesäumten Eingang ergoss sich überwältigend laut und schrill die Musik.
Als ich die Vorhalle dieses Bauwerks betrat, verspürte ich eine Erregung, wie man sie wohl nur empfindet, wenn man sich dem Allerheiligsten eines priesterlichen Mysteriums nähert. Neben und vor mir schritten andere, allem Anschein nach aus zahllosen unterschiedlichen Welten beziehungsweise Dimensionen stammende Besucher, die titanischen Kolonnaden entlang, in deren Säulen unlesbare Runen und rätselhafte Basreliefs eingemeißelt waren. Die riesenhaften, dunkelhäutigen Bewohner der Stadt standen umher oder gingen, wie alle anderen auch, mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, ihrer Wege. Keines dieser Wesen sprach auch nur ein Wort, weder zu mir noch untereinander, und obwohl einige mir flüchtige Blicke zuwarfen, hielten sie meine Anwesenheit offenbar für selbstverständlich.
Mir fehlen schlichtweg die Worte, das Unbegreifliche zu schildern. Und die Melodie? Sie zu beschreiben, will mir ebenfalls nicht gelingen. Es war, als habe jemand ein wundersames Elixier in Schallwellen verwandelt – einen Zaubertrank, der übermenschliches Leben verleiht und einem die hochfliegenden, großartigen Träume der Unsterblichen schenkt. Während ich mich der verborgenen Quelle der Musik näherte, steigerte sie sich in meinem Hirn zu einer göttlichen Trunkenheit. Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasste, mir nun die Ohren mit Watte zu verstopfen, ehe ich weiterging. Zwar konnte ich die Musik noch immer hören und spürte ihre sonderbare, alles durchdringende Vibration, allerdings nur noch gedämpft, und ihr Einfluss war nicht mehr so stark. Zweifellos verdanke ich dieser schlichten Vorsichtsmaßnahme mein Leben.
Eine Zeit lang wurde es zwischen den endlosen Säulenreihen düster, wie in einer lang gestreckten
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