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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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Gedanken an den Glanz fremder Welten weckten – Sternlicht übersetzt in Klang.
    Normalerweise berührt Musik mich nicht allzu sehr; ich musste mir sogar schon Vorwürfe gefallen lassen, nicht sensibel genug darauf zu reagieren. Doch ich war noch nicht weit gegangen, als ich bemerkte, wie die fernen Klänge mich in einen sonderbaren Bann schlugen. Angezogen von ihrem sirenenhaften Zauber vergaß ich, in welch einer merkwürdigen Lage ich mich befand. Ich dachte nicht länger an die Gefahren, die auf mich warten mochten, und spürte, wie ich in einen rauschhaften Zustand geriet, so als sei mein Gehirn von Drogen benebelt.
    Nach und nach, schleichend, gaukelte mir die Melodie einen unendlichen Raum vor; unendliche Distanzen, und doch erreichbar, in denen eine überirdische Freude und Freiheit herrschte. Sie schien die herrlichsten Dinge zu versprechen, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt hätte …
    Der Wald reichte bis beinahe an die Stadtmauer heran. Als ich hinter den letzten Sträuchern hervorspähte, gewahrte ich hoch über mir ihre gewaltigen Zinnen und stellte fest, dass die ungeheuren Blöcke makellos aneinandergefügt waren. Ich befand mich in der Nähe der großen Straße, die durch ein offen stehendes Tor führte, breit genug, um auch die gigantischsten Ungetüme hindurchzulassen. Nirgendwo waren Wachen in Sicht, und noch während ich schaute, näherten sich mehrere hochgewachsene, strahlende Wesen mit weit ausgreifenden Schritten und gingen hindurch.
    Von meinem Standpunkt aus vermochte ich nicht in die Stadt hineinzublicken, denn die Mauern waren von enormer Höhe. Aus jenem geheimnisvollen Durchgang ergoss sich die Musik in einer anschwellenden Flut und versuchte mich, begierig nach Unvorstellbarem, anzulocken. Es fiel mir schwer, dieser Melodie zu widerstehen. Ich musste all meine Willenskraft zusammennehmen, um mich abzuwenden. Ich versuchte, mich auf die mir bevorstehende Gefahr zu konzentrieren – doch der Gedanke blieb schwach und dürftig.
    Schließlich riss ich mich los und ging, langsam und stockend, zurück, bis ich außer Reichweite der Musik gelangte. Doch selbst dann hielt ihr Zauber noch an, ähnlich den Nachwirkungen einer Droge. Während des gesamten Rückwegs war ich ständig versucht, umzukehren und jenen schimmernden Giganten in die Stadt zu folgen.
    5. August – Ich habe die neue Dimension erneut aufgesucht. Ich glaubte, der verlockenden Melodie widerstehen zu können, und nahm sogar Watte mit, um sie mir in die Ohren zu stopfen, sollte die Versuchung zu groß werden. Wie zuvor vernahm ich aus einiger Entfernung wieder die himmlische Musik und wurde von ihr angezogen. Diesmal jedoch trat ich durch das offene Tor!
    Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, die Stadt zu beschreiben. Auf den ungeheuren Gehsteigen, inmitten des Gewirrs aus Gebäuden, Straßen und Arkaden von unermesslichen Ausmaßen kam ich mir vor wie eine Ameise. Überall standen Säulen, Obelisken und die lotrechten, frei tragenden Pfeiler von Bauwerken, neben denen die Tempel von Theben oder Heliopolis sich wie winzige Hütten ausgenommen hätten. Und erst die Bewohner dieser Stadt! Wie soll ich sie schildern, wie benennen?
    Ich halte die strahlenden Geschöpfe, die ich als Erstes sah, nicht für die eigentlichen Stadtbewohner, sondern lediglich für Besucher, die wie ich selbst möglicherweise aus einer anderen Welt oder Dimension stammen. Die wirklichen Bewohner sind gleichfalls Riesen; aber sie bewegen sich langsam und feierlichen, gemessenen Schritts. Ihre Körper sind nackt und dunkelhäutig, ihre Gliedmaßen gemahnen an Karyatiden – allem Anschein nach kräftig genug, die Stürze und Dächer ihrer eigenen Bauten zu tragen. Es widerstrebt mir, sie ausführlich, bis in alle Einzelheiten zu beschreiben. Menschenworte würden nur die Vorstellung von etwas Ungeheurem, Monströsem vermitteln, und monströs sind diese Wesen mitnichten. Sie haben sich lediglich gemäß den Gesetzen einer anderen Evolution als der unseren, gemäß den Umweltbedingungen und -zwängen einer uns fremden Umgebung entwickelt.
    Aus einem unerfindlichen Grund empfand ich keine Angst, als ich sie erblickte – vielleicht war ich den melodischen Klängen schon so weit verfallen, dass ich keine Furcht mehr verspürte. Im Innern der Stadt, direkt hinter dem Tor, standen einige von ihnen beisammen und schienen mich überhaupt nicht zu beachten, als ich an ihnen vorüberging. Der Blick ihrer riesigen, pechschwarzen

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