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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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verfinstert, dass ich den Eindruck gewann, es wäre schon Nacht geworden. Unwillkürlich musste ich an eine dem Untergang geweihte Welt im Zwielicht einer sterbenden Sonne denken. Kein Lufthauch regte sich, alles verharrte still. Kein Vogel sang, kein Insekt schwirrte umher, kein Seufzen des Windes fuhr durch die Kiefern und nicht das leiseste Rascheln war im Laub zu vernehmen – über allem lag ein bedrohliches, unnatürliches Schweigen, ähnlich der Stille im endlosen Weltraum.
    Die Bäume standen zunächst dichter und wichen dann mehr und mehr zurück. Schließlich gelangte ich an eine kreisrunde Lichtung. Nun erkannte ich, worum es sich bei den einzeln stehenden Steinblöcken handelte: Es waren Grab- und Gedenksteine, allerdings so uralt, dass die Buchstaben oder Zahlen darauf nahezu unleserlich waren. Die wenigen Schriftzeichen, die ich zu entziffern vermochte, gehörten zu keiner mir bekannten Sprache. Sie hatten etwas Antikes, Geheimnisvolles an sich und verströmten den Hauch eines Schreckens aus grauer Vorzeit. Es war nur schwer vorstellbar, dass es vor so langer Zeit schon Leben gegeben haben sollte. Die Bäume ringsum waren so knorrig und von der Last zahlloser Jahre niedergebeugt, dass ich es kaum glauben wollte. Der Eindruck, den diese Steinblöcke und Kiefern vermittelten, nämlich dass alles fürchterlich alt sei, machte meine Verwirrung nur umso bedrückender und steigerte meine Unruhe. Dies wurde auch nicht besser, als ich rings um die Grabsteine eine ganze Anzahl jener bereits erwähnten schwachen Fußabdrücke in der weichen Erde bemerkte. Ihre Anordnung war in der Tat merkwürdig, denn sie schienen von den jeweiligen Grabsteinen auszugehen und wieder in deren Nähe zurückzukehren.
    Und nun vernahm ich zum ersten Mal einen Laut in dieser makabren Szenerie, der nicht von meinen eigenen Schritten stammte. Hinter mir war zwischen den Bäumen ein leises, hässliches Klappern zu hören. Ich wandte mich um und lauschte. Die Geräusche hatten etwas an sich, was meinen ohnehin schon bis zum Zerreißen gespannten Nerven den Rest gab. Meine schlimmsten Ängste, die abscheulichsten Vorstellungen zogen wie die entfesselte Schar eines Hexensabbats an meinem geistigen Auge vorüber.
    Doch die Wirklichkeit, der ich mich nun gegenübersah, war nicht minder ungeheuerlich! Im Schatten der Bäume schimmerte etwas Bleiches. Dann erschien ein Knochengerippe. Es trug auf den Armen das Skelett eines Säuglings – und es kam auf mich zu!
    Selbstvergessen, offenbar tief in rätselhafte, unergründliche Gedanken versunken, so als müsse es etwas erledigen, wovon die Lebenden keine Ahnung haben, ging es gemessenen Schritts mühelos und beinahe schwebend an mir vorüber. Obwohl ich vor Entsetzen ganz benommen war, nahm ich in dem wandelnden Gerippe eine auf grässliche Weise weiblich wirkende Anmut wahr. Mein Blick folgte der Erscheinung, während sie, ohne innezuhalten, zwischen den Grabmälern hindurchschritt und in der Düsternis der Kiefern jenseits der Lichtung verschwand. Kaum war sie außer Sicht geraten, tauchte ein weiteres Gerippe auf, ebenfalls das Skelett eines Säuglings tragend, und ging mit derselben unseligen, abscheulichen Grazie an mir vorüber.
    Das Entsetzen lähmte mich. Vor Angst war ich wie versteinert und fühlte mich von der Last eines unbarmherzigen, unerträglichen Albtraums erdrückt. Aus den Schatten, die die Kiefern warfen, tauchte Gerippe um Gerippe vor mir auf, ein jedes gleich dem vorhergehenden, ein jedes sein bedauernswertes Kind tragend. Mit derselben makabren Anmut und Eleganz strebten sie alle einem gleichermaßen rätselhaften Ziel zu, dorthin, wo auch das erste Skelett verschwunden war. Eines nach dem anderen zogen sie an mir vorüber, acht an der Zahl! Nun war mir klar, woher die absonderlichen, so schwach ausgeprägten Fußabdrücke stammten, die mich so stark beunruhigt hatten.
    Nachdem das achte Knochengerüst außer Sicht verschwunden war, wanderte mein Blick, wie von einem unwiderstehlichen Drang angezogen, zu einem der mir näher gelegenen Grabsteine. Daneben nahm ich jetzt etwas wahr, das mir zunächst nicht aufgefallen war: ein gähnendes, dunkles Loch im Erdreich, das ich als frisch geöffnetes Grab erkannte.
    Abermals vernahm ich neben mir ein leises, klapperndes Geräusch und sachte zupften mich fleischlose Finger am Ärmel. Dicht neben mir stand ein Knochengerippe. Von den anderen unterschied es sich lediglich dadurch, dass es keinen Säugling im Arm trug. Mit einem

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