Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
lästig, da er im Gefolge glücklicherer Tage und profitablerer Nächte auftrat. Die Menschen waren höllisch vorsichtig mit ihren Juwelen und sonstigen Kostbarkeiten geworden, Fenster und Türen wurden doppelt gesichert, man gebrauchte neuartige und vertrackte Schlösser, Wächter waren wachsamer oder weniger schläfrig geworden – kurz gesagt: Sämtliche natürliche Schwierigkeiten unseres Berufs hatten sich vervielfacht. Zeitweilig mussten wir uns auf den Diebstahl sperrigerer und weniger kostbarer Waren beschränken, als wir zu verwerten gewohnt waren; und sogar dies ging nicht ohne Gefahr ab. Selbst jetzt noch denke ich tief beschämt an jene Nacht zurück, als wir beinahe mit einem Sack Kartoffeln geschnappt worden wären; und dies erwähne ich, damit man mich nicht für einen Aufschneider halte.
Eines Nachts machten wir in einer Gasse des ärmeren Viertels von Uzuldarum Halt, um unsere verfügbaren Barmittel abzuzählen. Wir entdeckten, dass wir beide gemeinsam exakt drei Pazoor besaßen – genug, um eine große Flasche Granatapfelwein oder zwei Brotlaibe zu erstehen. Wir beratschlagten, wie das Geld am besten anzuwenden sei.
»Das Brot«, machte Tirouv Ompallios geltend, »wird unsere Körper stärken, es wird unseren matten Gliedern und müden Fingern neue Kraft und Flinkheit verleihen.«
»Der Granatapfelwein«, hielt ich dagegen, »wird unsere Gedanken erheben, er wird unseren Geist anregen und erleuchten und mit etwas Glück wird er uns einen Weg weisen, wie wir unserer gegenwärtigen Misslichkeit entrinnen können.«
Tirouv Ompallios fügte sich ohne unbillige Widerrede meinen überlegenen Argumenten und so traten wir durch die Tür einer nahe gelegenen Taverne. Der Wein war nicht der beste, was den Geschmack betrifft, doch bezüglich Menge und Stärke erfüllte er alle Erwartungen. Wir saßen in der übervollen Schankstube und süffelten ihn gemächlich, bis das ganze Feuer der leuchtend roten Flüssigkeit in unseren Gehirnen loderte. Die Dunkelheit und Ungewissheit unserer künftigen Wege wurde vertrieben wie von rosarotem Fackelschein und unser herber Blick auf die Welt wurde wundersam gemildert. Sogleich kam mir eine Eingebung.
»Tirouv Ompallios«, sagte ich, »gibt es irgendeinen Grund, warum du und ich, Männer von Mut und in keiner Weise angekränkelt von den Ängsten und dem Aberglauben der breiten Masse, uns nicht am Kronschatz von Commoriom bereichern sollten? Eine Tagesreise fern von dieser öden Stadt, eine angenehme Landpartie, ein Nachmittag oder Vormittag im Dienst der archäologischen Forschung – und wer weiß, worauf wir am Ende stoßen werden?«
»Du spricht beherzt und weise, mein lieber Freund«, erwiderte Tirouv Ompallios. »Fürwahr, es gibt keinen Grund, warum wir unsere erschöpften Finanzen nicht auf Kosten von ein paar toten Königen oder Göttern auffrischen sollten.«
In jenen Tagen war Commoriom, wie alle Welt weiß, eine Geisterstadt, ausgestorben schon seit vielen Hundert Jahren, nachdem die Weiße Seherin von Polarion allen sterblichen Geschöpfen, die innerhalb des Umlandes der Metropole auszuharren wagten, ein entsetzliches, wenn auch rätselhaftes Verhängnis geweissagt hatte. Manche behaupteten, dieses Verhängnis würde eine Seuche aus der nördlichen Wüste sein, die auf den Trampelpfaden der Urwaldvölker eingeschleppt wird; andere glaubten an eine Art von Wahnsinn – doch wie auch immer: Niemand, weder König noch Priester, weder Arbeiter noch Dieb, blieb in Commoriom, um das Verhängnis zu erwarten. Alle flüchteten in einem einzigen Massenauszug, um eine Tagesreise entfernt die neue Hauptstadt Uzuldarum zu gründen.
Seither sind bezüglich Commorioms seltsame Geschichten im Umlauf – Geschichten über Schrecken und Gräuel, die der Mensch weder zu erdulden noch zu bezwingen vermag und die auf ewig die verlassenen Schreine und Mausoleen und Paläste heimsuchen. Doch noch immer steht diese Geisterstadt in marmornem Schimmer, in granitener Pracht, als eine Häufung von Türmen und Kuppeln und Obelisken, die noch kein einziger der mächtigen Urwaldbäume überragt, inmitten eines fruchtbaren Tals im Herzen Hyperboreas. Und die Menschen raunen, dass in seinen unzerstörten Gewölben seit alters unberührt und ungeplündert der sagenhafte Reichtum uralter Herrscher ruht. Noch immer sollen die stolzen Gräber jene Juwelen und Edelmetalle bewahren, die gemeinsam mit den Mumien von Königen und Priestern bestattet wurden. Die Gotteshäuser sollen noch immer
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