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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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jenem Augenblick hatte ich nicht gewusst, dass so viele an einem Ort sein konnten. Ich hatte sie an den Zäunen gesehen, wie sie an den Draht schlugen und versuchten, ins Dorf zu kommen. Sie waren uns an den Zäunen entlang gefolgt und hatten stöhnend die Arme nach uns gereckt.
    Aber noch nie waren es so viele gewesen. ImTal waren mehr Leiber als Sterne am Himmel.
    Elias hatte meine Hand genommen, ob er mich trösten sollte oder ich ihn, weiß ich immer noch nicht. »Sie sind in R uhestarre. Sie dürfen uns nicht wittern, sonst wachen sie auf, und ich weiß nicht, ob wir ihnen entkommen könnten.«
    Ich setzte mich hin und wollte keinen Schritt weiter. »Wir können nicht zurück, Elias«, jammerte ich. Ich war müde, hungrig, zutiefst erschrocken und furchtbar enttäuscht. Ich hatte gedacht, wir hätten es gleich geschafft, aber nun gab es wieder ein Hindernis, und das hieß, dass wir ewig imWald festsitzen würden. Meine Lippe fing an zu zittern. »All die anderen Pfade haben wir schon ausprobiert. Sie waren abgeschlossen – und dies ist der einzigeWeg, hast du gesagt.«
    Elias setzte sich neben mich. Er zog meinen Kopf an seine Brust, wo ich sein Herz klopfen hören konnte und seinen Atem, ich wusste also, dass er auch weinte.
    Es war Nachmittag, und dunkleWolken drängten sich am Horizont. Er seufzte. »Wenn es stark genug regnet, dann schaffen wir es vielleicht, ohne dass sie uns wahrnehmen und aufwachen«, sagte er schließlich. »Wir müssen hier nur ein paarTage warten, dann sehen wir schon, ob das geht.«
    ZweiTage verbrachten wir auf diesem Berg. Wir versuchten nicht auf die schlafende Horde hinabzublicken. Dann, am dritten Abend, zog ein Gewitter auf. Es fing klein an, aber als der Morgen anbrach, tobte es so wild, dass wir Bäume krachen hörten und das Ächzen der schwankenden Drahtzäune.
    Es gab einen kleinen Erdrutsch, als wir zur Straße hinunterkletterten. Unten angekommen rannten wir an einer Mauer aus Ziegelsteinen entlang, dann hasteten wir über die Brücke, die im heulenden Wind über dem Tal schwankte. Donner und Blitz wüteten um uns herum, und der R egen war so stark, dass wir kaum atmen konnten. Die ganze Welt schien in Stücke gerissen zu werden.
    Zum letzten Mal hatte ich die Horde gesehen, als ein Blitz in die Brücke einschlug, kurz bevor wir die andere Seite erreichten . A utos explodierten und stürzten im Funkenregen insTal, das Licht fiel auf die schlummernden Leiber dort unten, bevor es verlosch.
    Ich lasse die Hände sinken und straffe die Schultern, verdränge diese Erinnerung aus meinem Kopf. Ich war ihnen schon einmal entkommen, und jetzt musste ich es noch mal schaffen. »Wir sind in denTunneln gefangen.« Das Stöhnen hallt schon auf derTreppe. »Lange wird es nicht dauern, bis sie überall sind.«
    »Du hast gesagt, du weißt, wo Gabry ist. Wir können sie nicht hier lassen. Wir müssen dafür sorgen, dass ihr nichts zustößt«, sagt Catcher . A nscheinend denkt er, dass ich drauf und dran bin aufzugeben.
    Ich brauche einen kurzen Moment, bis ich mich wieder daran erinnere, dass Gabry meine Schwester ist. Sie heißt nicht mehr Abigail.Wenn ich daran denke, dass sie irgendwo da draußen bei denToten ist, die die Straßen überfluten, schnürt sich mir die Kehle zu. Schnell überlege ich, was als Nächstes zu tun ist. Ich gehe am Bahnsteigrand auf und ab, hinter mir fällt das Feuer zusammen, und Funken stieben durch die Luft. »Selbst wenn wir nach oben gehen würden, wären wir immer noch in den Neverlands, und die Brückenverbindungen auf der Insel sind nicht mehr alle intakt«, denke ich laut. »Wir müssen die Palisaden zu Fuß überqueren, und entweder lassen uns die R ekruter nicht durch, oder sie sind längst überrannt worden.«
    »Können wir dieTunnel nehmen?« Das ist natürlich die naheliegende Frage.
    Ich schaue ihn einen Moment lang an. DieTunnel ziehen sich wie unterirdische Flüsse unter der ganzen Insel entlang. Das Protektorat hat sie mit Patrouillen geschützt und dafür gesorgt, dass die Pumpen ständig liefen, damit sie nicht überflutet wurden. Sie waren schon immer verboten und gefährlich, seit der R ebellion soll es dort aber noch schlimmer geworden sein . A bgesehen von den eingestürzten Bereichen liegen angeblich auch andereTeile unterWasser. Es ist ein Labyrinth, das uns mit Haut und Haar verschlingen könnte.
    Ich erinnere mich an das letzte Mal, als ich hier unten gewesen bin. Meine Narben haben sich zusammengezogen, jede einzelne eine

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