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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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sagt das so, als würde das Sinn ergeben, doch das ist nicht der Fall.
    »Haben sie euch nicht gewarnt?«, fragt er ungläubig.
    »Wer soll uns denn warnen?« Die Luft hier unten ist eisig, von meinen Lippen steigen kleine Wölkchen auf.
    Er steht auf und fängt an auf und ab zu laufen. »Millionen von Mudo halten auf die Stadt zu. Offensichtlich sind sie jetzt hier. Wie kann es angehen, dass euch die R ekruter nicht darauf vorbereitet haben? Sie müssen es doch gewusst haben.«
    »Ich verstehe nicht, was du da sagst.« Angst regt sich in mir.
    »Annah, dieseToten da oben … das ist erst der Anfang. Da sind Millionen, mehr als du dir überhaupt vorstellen kannst. Deshalb hatten Gabry und ich es so eilig, in die Stadt hineinzukommen. Wir wollten dich hier rausholen, bevor die Horde alles überrennt.«
    »Das geht doch gar nicht.« Ich schüttele den Kopf. »Gerade war ich noch an der Brücke zum Festland – wir waren gerade da, und da waren keine Ungeweihten. Wie sind sie über den Fluss gekommen, über die Mauern? Das ist doch erst ein paar Stunden her.«
    Er hockt sich vor mich hin, legt zwei Finger auf mein Knie, und an zwei Punkten dringt die Hitze durch die Kleiderschichten.
    »Du warst lange ohnmächtig, Annah, und du hast noch länger geschlafen. Es ist schon mehr als einTag vergangen seit der Brücke.«
    Mit einer plötzlichen Bewegung löse ich mich von ihm und trete an den Rand des Bahnsteigs. »Okay, gut. Dann ist das eben einenTag her . A ber das reicht immer noch nicht für das, was wir da oben gesehen haben. Die Straßen waren überlaufen. So was kann doch nicht so schnell passieren. Das ist einfach nicht möglich.«
    Er widerspricht mir nicht. Muss er auch nicht. Sein Gesichtsausdruck sagt alles. Ich drehe mich schnell zurTunnelöffnung um, mir schwirrt der Kopf. Da waren so vieleTote. Es war, als würde man an einem schwülen Sommerabend in einen Mückenschwarm laufen. Sie waren überall.
    Langsam kommt Catcher zu mir. »Es sind Massen, sie füllen den Fluss, klettern übereinander weg, ehe sie untergehen können.Wahrscheinlich haben sie die Brücken schon überrannt. Sie wälzen einfach alles auf ihremWeg nieder.« Seine Stimme klingt sanft, seineWorte jedoch nicht. »Sie türmen sich übereinander vor den Mauern, sie schieben sämtliche Barrieren weg. Eine so große Horde … das ist, als wollte man den Ozean in ein Marmeladenglas füllen. Nichts kann so etwas aufhalten.Wenn man es nicht gesehen hat, ist es überhaupt nicht zu begreifen.«
    Ich habe schon mal eine Horde gesehen, aber das verschweige ich ihm. Diese Erinnerung versuche ich zu löschen, zu unterdrücken, aber sie kommt immer wieder hoch.
    Elias und ich hatten uns imWald verirrt, nachdem wir meine Schwester zurückgelassen hatten. Ich weiß noch, wie wund meine Füße waren, wie sehr meine Beine wehgetan haben, und dass Elias gesagt hat, er sei so stolz auf mich, weil ich immer noch weiterlief. Ich wollte unbedingt ein großes Mädchen sein. Ich erinnere mich, wie er meine Hand gehalten und mir den Bergpfad hinauf geholfen hat. Und ich erinnere mich an die Zäune zu beiden Seiten, die Zäune, die nie endeten.
    Ich weiß noch, wie wir den Gipfel erreichten. Plötzlich war Elias erstarrt und hatte mir befohlen, hinter ihm zu bleiben. Das hat mich wütend gemacht. Er hatte doch eben noch gesagt, ich sei ein großes Mädchen, also spähte ich an ihm vorbei und sah, was er sah. Es war wunderschön, so weit das Auge reichte, erstreckten sich die Berge vor uns.
    Doch deshalb war Elias nicht stehen geblieben. Er schaute nach unten. Ins Tal. Ich folgte seinem Blick und sah den Pfad, der sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte, die alte Straße, die sich ein Stück weiter unten an den Berg schmiegte. Elias versuchte mich umzudrehen, bevor ich den R est auch noch sehen konnte. Er packte mich sogar, hielt mir die Augen zu, aber es war zu spät. Ich hatte sie gesehen – im Tal. Die Leute waren wie welke Blumen überall verstreut. Es waren so viele, dass mir eine Zeile aus einem Lied über die Blumen im Tal einfiel, das wir gelernt hatten.
    »Warum sind da so viele?«, hatte ich Elias gefragt. Ich hätte nie gedacht, dass es je so viele Leute auf derWelt gegeben haben konnte.
    Er war leichenblass, seine Hände waren kalt und zitterten. »Wir müssen umkehren, Annah. Wir müssen zurück. Sofort.« Er sprach leise.
    Ich muss schlucken, als ich mich an dieses Gefühl erinnere, an diesen Schock über die riesige Masse der Ungeweihten. Bis zu

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