Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
verletzen können.
Nie wieder, nachdem Elias sich den R ekrutern angeschlossen und mich verlassen hat.
Ich starre ihn an, solange, bis es ihm anscheinend unangenehm wird. Ich will ihn fragen, warum er glaubt, dass mir das etwas ausmachen würde. Ich will ihm sagen, dass wir alle kaputt sind – ich genauso. Stattdessen zucke ich nur gleichgültig mit den Schultern und sage: »Okay.«
Sowie mir dasWort über die Lippen kommt, weiß ich, dass es gelogen ist, und das facht meine Irritation über mich selbst und ihn nur an. Ich streife seine Schulter, als ich an ihm vorbei und tiefer in denTunnel hinein stapfe. Seine Schritte hallen hinter mir, der schwache Schein seiner Fackel vermag der schwarzen Leere vor mir kaum etwas anzuhaben.
Aber ich habe die Dunkelheit ja schon immer gemocht.
Je länger wir unter der Erde sind, desto schärfer werden meine Sinne.Wenn wir uns einem verlassenen Bahnsteig nähern, verändert sich der Druck der Luft, die über mein Gesicht streicht. In den Tiefen derTunnel ist es schneidend kalt, die vergessene Wärme des Herbstes dringt jedoch aus den Wänden und wärmt alles ringsum gerade so weit auf, dassWasser noch tröpfeln kann und nicht zu Eis gefriert.
Trotzdem rücke ich so nah an Catcher heran, wie ich es wage, wegen seiner Wärme und wegen des schwachen Fackelscheins . A ls die Flamme zu verlöschen droht, reiße ich Stoffstreifen von meinem R ock ab – die extra Schicht Kleidung ist zwar ein guter Schutz gegen die Kälte, aber nicht so wichtig wie Licht.
Mit den Geräuschen ist es hier unten auch so eine Sache. Manchmal ertönt ein Schlurfen, es könnten Schritte auf dem alten Beton sein, und manchmal hört man das hektische Zirpen von Tieren, die sich in den dunklenTunneln eingenistet haben.
Bei jedem Geräusch zucke ich zusammen und schaue mich um. Mein Herz schlägt aber noch viel lauter, und ich muss mir immer wieder sagen, dass uns nichts passieren wird. Schon bald werden wir wieder nach oben kommen. Ich habe die letzten drei Jahre allein in der Stadt überlebt und werde auch das hier durchstehen.
Doch damit verhindere ich nur, dass mich die Panik vollends überwältigt – gegenwärtig bleibt sie immer.
»Glaubst du, das ist weit genug?«, fragt Catcher. Die Decke wölbt sich plötzlich in die Schwärze eines verlassenen Bahnhofs.
Ich schüttele zähneklappernd den Kopf, die Arme habe ich zum Schutz gegen die Kälte fest um die Brust geschlungen. Ich stelle mir die Insel über uns vor, das Straßengewirr der Neverlands mit den vielen Gebäuden, das sich bis zu dem breiten kahlen Streifen Land vor den Palisaden hinzieht. Es fühlt sich nicht so an, als ob wir ihn schon ganz unterquert hätten.
»Noch eine Station weiter, würde ich sagen. Nur um sicherzugehen.«
Catcher nickt und stapft voran . A us den Augenwinkeln meine ich zu sehen, dass sich hinten auf dem Bahnsteig etwas regt. Ich packe die Machete fester. R ennen würde unsere Kräfte schwächen; so lange wir weiter voranwandern, können wir den Gefahren hier unten entkommen.
Wir müssen einfach weiter.
Auf unseremWeg wird dasTröpfeln immer lauter, immer eindringlicher, es hat etwas von einem stolpernden Herzschlag. Unter unseren Füßen spritzt dasWasser, bald schwappt es über unsere Schuhe, schließlich bis an die Schienbeine. Das laute Platschen unserer Schritte übertönt alle anderen Geräusche.
Das Gewicht der durchweichten Hosen zerrt an meinen Hüften. Eis, dünn wie Eierschalen, bricht, während wir durchsWasser waten. Es wird tiefer, bald geht es mir schon bis an die Schenkel, und dann muss ich mich auf die Zehenspitzen stellen, damit es mir nicht über die Hüften schlägt. Meine Glieder zucken in der Kälte.
»Warte«, rufe ich Catcher mit klappernden Zähnen zu. Er bleibt ein paar Schritte vor mir stehen und dreht sich um, die Fackel hüllt ihn in einen orangefarbenen Schein.
Ich zeige aufsWasser, Dunkelheit hat den unterenTeil meines Körpers verschluckt. »Was ist, wenn da drinnen Ungeweihte sind?«
Er hält das Licht an dieWasseroberfläche, als ob er den Boden darunter ausleuchten könnte. »Die wären in Starre«, sagt er. »Dir dürfte eigentlich nichts passieren.«
»Eigentlich?« Ich quietsche. Nachdem ich einmal knapp entkommen bin, will ich wirklich nicht riskieren, von einer imWasser treibenden Pestratte gebissen zu werden.
»UnterWasser können sie die Lebenden nicht wahrnehmen«, sagt er . A ber ich schüttele den Kopf.
»Es sei denn, ich stolpere zufällig über einen von
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