Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
Vom Netzwerk:
erschütternd: Er ist lebendig, sie sollten über ihn herfallen – doch sie tun es nicht. Er geht durch die Menge, als sei er es gewohnt, von stöhnendemTod umgeben zu sein. Und ich begreife, dass dies seine R ealität ist.
    Er ist die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten. Er ist beides und dabei weder das eine noch das andere. Er gehört nirgendwo hin, und jetzt verstehe ich sein Zögern unten in den Tunneln. Ich erkenne die Art wieder, wie er Mauern errichtet zwischen sich und anderen Leuten, denn ich bin genauso.
    »Schneller!«, brülle ich ihm zu, denn ich fürchte, er könnte zu spät kommen. Er fängt an zu laufen, die Arme gegen den Wind erhoben, gibt er alles, um den Abstand zwischen uns zu überwinden.
    Ich halte die scharfe Kante der Eisentür zumTreppenhaus fest umklammert . A uf der einen Seite ist sie zerkratzt und verbeult, die andere ist noch glatt und glänzend . A ls ich mich zur Dunkelheit wende, fängt die glatte Seite mein Spiegelbild ein.Weit aufgerissene Augen, ein blutverschmierter Mund. Ich packe die Machete fester, mein Instinkt versetzt mich in Alarmbereitschaft, weil mich eine Ungeweihte anstarrt.
    Ich kann nicht durchatmen, Entsetzen durchlodert meinen Körper.Was, wenn ich jetzt eine von denen bin? Ich lasse die Szene noch einmal R evue passieren, wie der Ungeweihte mich in den Arm gebissen hat, und spüre wieder seine Zähne.
    Endlich ist Catcher zum Eingang vorgedrungen, er hält sich den Arm, aus dem noch immer der Schaft des Bolzens ragt. Blut benetzt seine Finger, als er mich sachte RichtungTreppe schiebt und die Tür hinter uns schließt. Wieder sind wir in völliger Dunkelheit. Das Bild von mir als einer derToten verschwindet.
    »Annah«, sagt er. Ich spüre, wie seine Hand nach mir tastet, ignoriere es aber. Stattdessen suche ich Halt am Geländer und renne die Stufen hinab, bis ich Licht und Feuer wiedergefunden habe.
    Catcher ruft mir nach, ich werde nicht langsamer. Mein Herz rast, meine Muskeln schmerzen, doch all das spielt keine R olle.
    Auf dem Bahnsteig ist das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt, mit zittrigen Atemstößen puste ich auf halb verbrannte Holzstücke, bis Funken sprühen und das Holz wieder brennt.
    Meine Finger zittern, als ich an den Knöpfen nestele, ich reiße mir den Mantel vom Leib, dann den Pullover, das Hemd und Unterhemd, bis nichts mehr meinen Oberkörper bedeckt.
    »Annah, was ist los?«, brüllt Catcher, der die letzten paar Stufen herunterspringt und in den schwachen Lichtkegel läuft.
    Sobald er meine Nacktheit sieht, weicht er zurück, reißt seinen gesunden Arm hoch, hält ihn sich vor die Augen und wendet den Kopf ab. »Annah?« Seine Stimme klingt besorgt. Offenbar glaubt er, ich hätte denVerstand verloren.
    Hektisch streiche ich mit den Händen über meine Arme, drücke und zupfe die Haut, während ich mich hin und her drehe, um besser sehen zu können. Ich kann keineVerletzungen ertasten, aber sicher bin ich nicht. Ich renne zu Catcher und halte ihm meinen Arm hin.
    »Ist da ein Biss?«, frage ich atemlos.
    »Annah, was …«
    »Ist – da – ein – Biss?«
    Seine Augen weiten sich. Dann nimmt er meinen Arm und fährt mit glühend heißen Fingern an meinen Muskeln entlang. Ich bekomme eine Gänsehaut.
    »Nein, jedenfalls sehe ich keinen«, sagt er sanft.
    »Und hier?« Ich lege den Kopf schräg, damit er Ohr und Hals in Augenschein nehmen kann. Jeden seiner Atemzüge spüre ich, als er an meinem Haaransatz und am Ohr entlangtastet. Langsam. Systematisch.
    »Nein.« Er flüstert, presst seine Lippen fast – aber nicht ganz – an meinen Nacken, weil ich mich so dicht an ihn gedrückt habe.
    Ich bleibe noch einen Augenblick länger so stehen, in der kalten Luft hier unter der Erde hüllt mich seine Hitze ein. Ich drehe mich, nur ein klein wenig. R ücke dichter an die Wärme heran. Seine Brust streift meine Schulter. Sein Mantel kratzt meine nackte Haut.
    Er löst die stumme Spannung zwischen uns. »Du bist nicht gebissen worden.«
    Erleichterung überkommt mich. Ich breche zusammen, schlinge die Arme um mich und wiege mich hin und her, meine Finger halten die nackten Schultern umklammert.Tränen laufen mir über dieWangen und tropfen auf den rissigen Beton des Bahnsteigs.
    Ich war tot. Ich war mir so sicher. Ich hatte die Zähne des Ungeweihten gespürt. Wie ist es möglich, dass ich nicht angesteckt bin?
    Ich schluchze und zittere, als sich das Entsetzen löst, das mich bis ins Mark erstarren ließ. Catcher kniet sich hin

Weitere Kostenlose Bücher