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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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trifft mich mit vollerWucht. Bilder und Erinnerungen überschlagen sich in meinem Kopf: Elias und meine Schwester, dieses Bild blitzt auf und schiebt sich über die Erinnerung an Elias’ Berührungen in der Nacht, bevor er sich den R ekrutern angeschlossen hat, an seine Hand an meinerWange, seine Finger auf meiner Haut … überall.
    Seine Lippen haben ihre Lippen berührt. Der Mund meiner Schwester – so nah an seinem.
    Und meine Schwester … Wie ich. Lebendig, hier. Weich sieht sie aus und hübsch. Meine Schwester, deren Augen vor Freude gestrahlt haben, weil sie an Elias’ Seite sein konnte …
    Ich weiß nicht mal mehr, was ich will. Ich habe mir immer gewünscht, dass Elias nach Hause kommt. Ich habe mir immer Sicherheit und Geborgenheit gewünscht, aber der Innere Bereich kommt mir eher wie ein Gefängnis vor. Ich wollte immer wissen, dass meine Schwester lebt, hatte aber niemals gedacht, dass sie derTeil von mir sein könnte, der nicht mehr existiert.
    Schnee fällt aus den schwerenWolken, brennt in meinen Augen, verschluckt das Geräusch meiner Schritte. Plötzlich taucht der Eingang zu einem niedrigen Gebäude vor mir auf, ich renne dagegen und falle nahezu hinein in die reine Dunkelheit. Selig lasse ich mich von ihr verschlingen.
    Ich taste mich voran, mir ist egal, dass ich nichts sehen kann, egal, dass ich auf dem unebenen Boden stolpere. Ich muss mich nur bewegen. Die Zähne wollen nicht aufhören zu klappern. Die Kälte umfängt mich, trotzdem bricht mir der Schweiß aus.
    Hinter mir öffnet sich die Tür knarrend einen Spaltweit, ein Lichtstrahl dringt in meine Einsamkeit. Eine Gestalt, die mir in so vielem gleicht, zögert, bevor sie näher kommt. Ich will sie wegschicken, will ihr sagen, dass sie mich in R uhe lassen soll . A ber das ist meine Schwester. Das bin ich … so lange verschwunden.
    Sie ist so vollkommen. Sie ist, was ich mir verzweifelt, aber vergeblich gewünscht habe im Spiegel zu sehen.
    Sie ist auch der Grund dafür, dass ich in dieser Stadt bin und dass Elias und ich uns imWald verirrt haben. Und sie ist der Grund dafür, dass ich so lange allein gewesen bin.Wenn sie verhindert hätte, dass Elias uns überredet, durch die verbotenenTore zu gehen und die Pfade imWald zu erkunden, wenn sie sich das Knie nicht aufgeschlagen und geweigert hätte, weiterzulaufen, wenn Elias nicht so viel Angst gehabt hätte, Ärger zu bekommen, weil sie sich verletzt hatte …
    Immer ist sie der Grund dafür gewesen, dass mein Leben vor so langer Zeit zerstört wurde.Warum kann ich mich nicht mal mehr an die Stimme meinesVaters erinnern?
    Sie kommt mir nach, und ich ziehe mich tiefer in die Dunkelheit zurück, stoße mich an den Wänden ab und wanke von einer Seite zur anderen. Ich will einfach nur zu Hause sein, umgeben von meinen Sachen und dem längst verflogenen Duft von Elias . A lles soll wieder so sein, wie es früher gewesen ist.
    Ich brauche Zeit zum Nachdenken, bevor ich ihr gegenübertrete, aber sie ruft meinen Namen, und obwohl ich es nicht will, bleibe ich stehen. Ein kleines Klicken und dann ein Surren. Ein Stöhnen dringt durch die Dunkelheit, und Abigails Schritte verhallen. Mein Herz macht einen Satz, als mich eine Hand packt und zum Eingang zurückzerrt. Meine Schwester versucht mich wegzuziehen.
    Das metallische Knarren wird lauter, regelmäßiger, rhythmischer, und dann flackert ein Licht auf. Ich zucke zusammen, halte meine Hände schützend vor die Augen und ziehe mich instinktiv ins Dunkel zurück . A us einem Alkoven zu meiner Linken greift ein junger Ungeweihter nach mir. Er steckt in einem Laufrad, bei jedem Schritt, den er auf mich zu macht, dreht sich das Rad, doch er kommt nicht von der Stelle.
    Er dreht dabei das Rad weiter, das eine Kurbel antreibt, deren Energie eine R eihe kleiner Lampen an den Wänden des Ganges speist. Das Licht bricht sich in den Eiszapfen, die von der Decke hängen. Wir scheinen in einem merkwürdigen Eispalast gefangen zu sein.
    »Nur ein Radläufer«, raune ich meiner Schwester zu und winde mich aus ihrem Griff. Das Protektorat hat sie zum Betreiben von Fahrstühlen und Lampen benutzt . A nstelle von Schandstock und Kerker hat man R egelbrecher auf einem Stuhl vor den Rädern festgebunden, und das hat die Ungeweihten verlockt, immer weiterzulaufen. »Sie sind gefangen, sie können uns nichts tun.«
    Sein Stöhnen vibriert um uns herum, ich schaudere. Hinter mir höre ich die scharfen Atemzüge meiner Schwester und spüre mit jedem Hauch, welche

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