Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
anderen halte ich den Atem an und warte darauf, dass sich zeigt, ob er wirklich gebissen worden ist. Ein Funken Hoffnung glimmt in seinem Gesicht auf, der auch auf mich überspringt. Da erscheint ein kleiner roter Punkt auf seiner Haut, dann noch einer. Der Biss ist durch die Haut gegangen. Er wirft den Kopf zurück und heult, während die R ekruter in der Arena händeklatschend mit den Füßen auf den Boden stampfen und damit das Stöhnen und Weinen und sogar meinen eigenen Herzschlag übertönen.
Ich rappele mich hoch, sprinte den Korridor entlang, weg von allem. Der Singsang hallt noch von den Wänden wieder, als ich um Ecken rase, gegen Wände stoße und nach demWeg aus dem Gebäude suche. Ich sehe alles verschwommen, doch in der Dunkelheit spielt das kaum eine R olle. So stolpere ich über den unebenen Fußboden, und als die Tür nach draußen in Sichtweite kommt, falle ich dagegen und stürze mich hinaus in die eiskalte Nacht.
Die Schärfe der Luft trifft mich wie eine Ohrfeige, sie dringt durch meine Kleider, und sofort fangen meine Zähne an zu klappern. Im Schnee wirkt das wenige vorhandene Licht intensiver, und ich bemerke die Fußspuren, die sich zwischen dem Hauptgebäude und der Seilbahnstation durch die weiße Schicht ziehen.
Denen folge ich, während mir im Kopf herumgeht, was ich eben gesehen habe. Sie haben Menschen umgebracht . A ls Sport . A us Spaß. Ich hatte gewusst, dass die R ekruter nach der R ebellion bösartig geworden waren, doch mir war nicht klar gewesen, dass sie jetzt Monster sind. Mir war nicht klar gewesen, dass Menschen so gnadenlos sein konnten.
Ich falle auf die Knie, mein Magen krampft sich zusammen, dasWenige, was ich vorhin gegessen habe, kommt wieder hoch. Ich würge und würge, die Panikschreie des Mannes gellen mir in den Ohren und das begeisterte Gebrüll der zuschauenden R ekruter … die sinnlose Brutalität des Ganzen.
Wie viel von all dem mag Elias wissen?Weiß er überhaupt davon?Weiß er, in was er uns hineingezogen hat? Unter welchen Umständen könnte er R ekruter sein, ohne Kenntnis von dem zu haben, was allen anderen R ekrutern so klar zu sein scheint? Ich will nicht glauben müssen, dass er es in Ordnung findet, was sie da in diesem Käfig machen, und nicht dagegen einschreitet.
Die eisige Kälte dringt durch meine Hosen. Mit Schnee wische ich mir den Mund sauber. Mir ist immer noch schlecht von all dem, was ich eben gesehen habe, und höre die Schritte hinter mir nicht. Dann legt mir jemand die Hand auf die Schulter.
Ich schreie, schlage um mich, meine Fäuste treffen auf Fleisch. Ich stoße die Gestalt in ein schneebedecktes Gebüsch, werde aber im Fall gepackt und lande auf ihr. Erst als ich die Hitze spüre, weiß ich, dass es Catcher ist.
EinWortschwall kommt aus meinem Mund, über die R ekruter und die Käfige und die ungeweihten Soulers und die Leichen, und Catcher drückt mich fest an sich und flüstert mir ins Ohr, dass ich in Sicherheit bin. Er ist bei mir, und alles ist gut.
»Du hast das nicht verstanden«, sage ich und springe auf. »Die R ekruter opfern Menschen. Sie werfen sie zu den Ungeweihten in die Käfige. Wir können hier nicht bleiben. Wir sind nicht sicher, wir müssen gehen. Wir müssen Elias holen und meine Schwester und von dieser Insel verschwinden.«
Er sitzt einfach im Schnee und starrt mich an, in seinem Gesicht schwillt eine rote Strieme an. Ich weiß nicht, warum er sich nicht rührt.Warum er nicht versteht, wie dringend es ist. Ich wirbele herum, bin so frustriert, dass ich ihn nicht mal mehr anschauen mag.
Ich höre, wie er langsam aufsteht, spüre seine Finger auf meinem Arm. »Wir können nicht weg, Annah«, sagt er.
Ich weiche zurück vor seiner Berührung. »Du hast es nicht gesehen, Catcher. Du hast nicht gesehen, was sie für einen Spaß hatten, was für eine ekelhafte Freude ihnen das gemacht hat, was sie da taten. Und wie langweilig sie es fanden, dass der arme Kerl nicht schnell genug gestorben ist! Das sind schreckliche Menschen, die es nicht verdient haben zu leben.« Die Erinnerungen und die eisige Nachtluft lassen mich unkontrolliert zittern.
Mit festem Griff hält er meinen Arm. »Wir können nicht zurück, es ist zu spät«, wiederholt er. »Von der Stadt ist kaum noch etwas übrig. In manchen Gegenden kämpfen nach wie vor Menschen . A ber so sicher wie hier ist es sonst nirgendwo.«
Er sieht beinahe aus wie ein Gespenst, als er hinzufügt: »Wir können nirgendwo anders hin. Selbst wenn es noch
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