Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
entdeckte ich etwas am Ende der Straße – ein Haus, einen Geländewagen oder ein sehr großes Tier. Als ich näher kam, erkannte ich einen Panzer altmodischer Bauart mit einem langen Kanonenrohr.
Aus der Dachluke tauchte Vic Willings Kopf auf.
Vom Kanonenrohr des Panzers baumelte Karnevalsschmuck. An Tom Benson, hatte jemand auf die eine Panzerseite geschrieben, Mittagessen für George Bush auf die andere.
Auf Vics Schulter hockte ein grüner Papagei, der gleiche, den ich vor seinem Haus gesehen hatte.
»Hier endet die Straße«, sagte Vic. Seine Stimme klang nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie war rauher, sonorer, verriet den Südstaatler.
»Ja«, sagte ich, »das sehe ich.«
»Früher einmal gab es hier eine Stadt«, sagte er.
»Das ist lange her«, sagte ich vorsichtig, wobei ich jedes Wort sorgfältig abwägte.
Er nickte.
»Sie hat gesagt, ich sollte es dir sagen«, sagte er. »Dich daran erinnern.«
»Woran?«
»Hier gibt es keine Straßenkarten«, sagte er.
»Wie soll ich dann den Weg finden?«, fragte ich.
Vic lächelte mich an. »Folge den Hinweisen«, sagte er. »Einen hast du schon übersehen. Hier.« Er warf mir etwas zu. Es wirbelte durch die schwere, schwüle Luft und landete in meiner Hand. Ich hielt es fest. Es war eine Ausgabe von Détection. Das Buch öffnete sich auf Seite einhundertacht. Der Text war unleserlich.
»Ich soll dir ausrichten«, sagte Vic, »dass du nichts glauben und alles hinterfragen sollst.«
»Wie bitte?«, fragte ich. »Ausrichten von wem?«
Aber da wendete Vic seinen Panzer und rollte mit lautem Tschaka-tschaka die Straße hinunter.
»Ich soll dir sagen«, hörte ich ihn rufen, »du sollst den Hinweisen folgen, nichts glauben und alles hinterfragen. Das ist deine Wegbeschreibung.«
Als ich aufwachte, suchte ich hastig nach meiner Ausgabe von Détection und schlug sie auf Seite hundertacht auf.
»Auf dem Weg zur Wahrheit kann man nicht in die Fußstapfen eines anderen treten«, schrieb Silette. »Ein Finger kann in eine Richtung zeigen, aber ein Finger ist keine Lehre. Der Finger, der den Weg zeigt, ist nicht der Weg. Das Rätsel ist ein Land ohne Pfade, und jede Detektivin muss sich einen eigenen Weg durch die rauhe Landschaft schlagen.
Glaube nichts. Hinterfrage alles. Folge nur den Hinweisen.«
Ich wusste, der Fall Vic Willing war noch nicht gelöst.
13
D er Besucherwarteraum des Orleans Parish Prison, besser bekannt unter dem Namen OPP, roch nach Angst und Desinfektionsmitteln. Die meisten Wartenden waren Mütter oder Anwälte.
Mir gegenüber saß der Junge mit den Dreadlocks, der dabei gewesen war, als Andray gegen meinen Truck gepinkelt hatte. Er erkannte mich nicht wieder. Er blätterte in einer Telenovela-Zeitschrift, die jemand im Wartezimmer vergessen hatte. In der Ecke saßen zwei weitere Jungs, Weiße, vornübergebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Sie trugen weite, aber kurze Hosen, weiße Kniestrümpfe und Unterhemden und hatten den Schirm ihrer Baseballkappen zur Seite gedreht. Sie schauten finster drein und versuchten, bedrohlich auszusehen. Immerhin gelang es ihnen, ein bisschen bedrohlich auszusehen. Ein ums andere Mal standen sie auf, um draußen eine Zigarette zu rauchen.
Nachdem ich eine Stunde lang gewartet und andere Besucher hatte kommen und gehen sehen, sprach ich den Wärter an.
»Ich glaube, Sie haben mich vergessen«, sagte ich.
»Ich hab Sie nicht vergessen«, verteidigte er sich, »Sie stehen gar nicht auf der Liste!«
»Ich habe meinen Namen auf die Liste gesetzt, gleich nachdem ich hereingekommen bin«, sagte ich.
»Da steht er aber nicht.«
Wir schrieben meinen Namen noch einmal auf. Nun fing das Warten von vorne an. Ich würde frühestens in einer halben Stunde aufgerufen. Ich ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen.
Die beiden weißen Jungs saßen rauchend auf der Treppe. Sie sahen mich. Ich sah sie. Der eine hatte braune Haare und war mittelgroß. Der andere hatte rotes Haar und war klapperdürr. Beide trugen ähnliche Tätowierungen an den Armen wie die anderen jungen Männer – Zahlen, Buchstaben, Codes, Daten. Der Rotschopf hatte sich zusätzlich einen Rosenkranz um den Hals tätowieren lassen.
Es gab keine Zufälle. Nur Hinweise, die man übersah, Türen, zu denen man keinen Schlüssel besaß.
»Für einen Detektiv, dem die Augen wahrlich aufgegangen sind«, schrieb Silette, »ist die Lösung eines jeden Rätsels immer nur wenige Zentimeter entfernt.«
Ich ging rüber
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