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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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auf die Beine kam. Dann ging ich los. Ich schaffte es bis zur Kirche an der Dryades Street, setzte mich auf die Treppe und versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich fühlte mich wie betrunken. Die kalte Luft half ein bisschen.
    »Hey, Miss«, hörte ich hinter mir jemanden sagen, »Miss.« Ich drehte mich um. Hinter mir saß ein Mann. Mehrere Männer, wie ich nach einer Weile sah. Nur wenige Meter von mir entfernt vor der Kirchentür lagen sie in Schlafsäcke und Lumpen und Zeitungen gewickelt, um zu schlafen und sich warm zu halten.
    »Hey, Miss, Verzeihung.« Einer rutschte heran und setzte sich neben mich. Er war dünn und klein und alt.
    »Ja?«, sagte ich.
    »Haben Sie was zu rauchen?«, fragte er. »Ich will Sie ja nicht stören. Aber vielleicht haben Sie was zu rauchen? Ich möchte nur eine Zigarette.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich, »sorry. Ich habe keine.«
    Er sah mich zweifelnd an.
    »Ehrlich«, sagte ich.
    Er murmelte etwas Unverständliches.
    »Möchten Sie einen Dollar?«, fragte ich. Ich fürchtete, die Männer auf der Kirchentreppe könnten ungemütlich werden. »Denn ich habe wirklich keine Zigaretten.«
    Er lächelte. »Ja«, sagte er, »das wäre nett. Danke.«
    Ich fischte einen Fünfdollarschein aus der Hosentasche, den ich ihm gab.
    »Danke«, wiederholte er, »Gott segne Sie.«
    »Sie auch«, sagte ich.
    Ich stand auf, und alles drehte sich. Ich setzte mich wieder hin.
    »Hey«, sagte der Mann, »was ist mit Ihnen, möchten Sie eine Zigarette?«
    »Klar«, sagte ich, »gerne.«
    Er griff in seine Tasche und zog eine halb gerauchte 100er heraus. Ich nahm sie, und er gab mir mit einem Streichholzbriefchen Feuer.
    Als das Streichholz aufflammte, sah er die Beule an meiner Stirn.
    »Das sieht nicht gut aus«, sagte er stirnrunzelnd.
    »Es geht mir nicht gut«, sagte ich.
    Die Zigarette schmeckte gut. Ich blieb sitzen und rauchte. Der Mann zog eine Schnapsflasche aus seinem Mantel, drehte den Schraubverschluss ab und bot sie mir an.
    »Danke«, sagte ich. Ich nahm einen tiefen, brennenden Schluck und gab ihm die Flasche zurück.
    »Gern geschehen«, sagte der Mann lächelnd. Während ich ihn betrachtete, fing sein Mantel an zu zittern und sich auszubeulen. Ich dachte schon, ich würde unter Halluzinationen leiden, als etwas aus dem Mantel heraus und auf die Schulter des Mannes kroch.
    Eine Ratte. Eine hübsche, saubere, braun-weiße Ratte.
    »Oh!«, sagte ich.
    »Das ist Boo«, sagte der Mann. Er hob eine Hand, um die Ratte zu streicheln.
    »Hey, Boo«, sagte ich. Ich wollte sie ebenfalls streicheln, aber Boo wich zurück.
    »Sorry«, sagte ich.
    »Ist schon gut«, sagte der Mann. »Er ist schüchtern.«
    Wir teilten uns den Schnaps, keine gute Idee für jemanden, der möglicherweise eine Gehirnerschütterung hatte, aber umso besser für jemanden, der sich einsam und deprimiert um vier Uhr morgens am gottverlassensten Ort der USA wiederfand und schrecklichen Durst hatte.
    Wir tranken und rauchten noch mehr halbe Zigaretten. Schließlich zog der Mann einen langen, braunen Joint aus seiner Manteltasche, und wir rauchten auch den.
    Wir redeten über den Sturm. Der Mann erzählte mir, wie er sich versteckt hatte. Er wollte mir nicht verraten, wo. Von seinem Unterschlupf aus hatte er den Wahnsinn in der Stadt beobachten können, ohne von der Polizei entdeckt zu werden.
    »Wäre alles prima gelaufen, hätte man die Leute bloß in Ruhe gelassen«, erklärte er. »Aber sobald die Polizei und die Nationalgarde da waren, brach das Chaos aus.«
    »Ich glaube fest daran«, sagte ich, »dass die Leute das Chaos auch ohne Polizei hingekriegt hätten.«
    Der Mann lachte.
    Ich und Boo hatten einander die ganze Zeit beäugt. Nun endlich beugte er sich zu mir herüber. Ich hielt ihm meine Hand hin, damit er daran schnuppern konnte. Seine spitze, kleine Nase zuckte. Er verzog das Rattengesicht, so als rieche er etwas Faules. Und das soll was heißen, wenn es von einer Ratte kommt.
    »Ich weiß«, sagte ich, »ich habe eine anstrengende Nacht hinter mir.«
    Die Ratte sah mich an und wackelte mit den Barthaaren, so als wäge sie meine Antwort ab. Ich hielt ganz still. Schließlich setzte sie sich wieder hin. Der Mann lächelte.
    »Das bedeutet, dass er Sie mag«, meinte er. »Er mag nicht jeden. Sie dürfen ihn streicheln.«
    Mit einem Finger strich ich über den kleinen, sauberen Rattenkopf. »Hey, Boo«, sagte ich. »Braver Junge!«
    »Das ist er wirklich«, sagte der Mann stolz. »Er ist wirklich

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