Die Stadt der verkauften Traeume
kratzt. »Alle Schulden kommen herein, wenn die Zeit reif dafür ist.«
Miss Rita hebt den Kopf.
»Aber sind die beiden das, wofür wir sie halten?«
Der Raum hält den Atem an.
»Dessen kann man sich nie sicher sein. Sie sind noch jung. Aber sie werden schon bald ihren wahren Charakter zeigen. Und dann müssen wir nur noch zusehen.«
»Selbstverständlich, Sir.«
Die Sekretärin des Direktors dreht sich um und geht davon. Und der Empfangsdirektor, umgeben von dem höhlenartigen Raum seines reich verzierten, leeren Büros, widmet sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch.
KAPITEL 7
Der Speiseaufzug
Liebe Lily,
entschuldige bitte, dass ich seit dem letzten Brief so lange gewartet habe. Hier im Turm war so unendlich viel los, und der Graf lässt mich die ganze Nacht durcharbeiten. Ich habe seine Muster ins Reine geschrieben und alle alten Texte transkribiert (jede Wette, du weißt nicht, was dieses Wort bedeutet!). Ich habe kaum Zeit zum Essen oder zum Schlafen oder …
Die Tinte ging aus. Hastig stieß Mark die Feder ins Fass und spritzte ein paar Tropfen über das Blatt. Er seufzte, betrachtete seine Finger, die in letzter Zeit ständig blau-schwarz verfärbt waren. Nach all den Monaten, in denen er gelernt und gelernt hatte, fand die Tinte immer noch überall dorthin, wo sie nicht hinsollte. Er fing mit einer neuen Zeile an.
Ich glaube, meine Schrift ist besser geworden. Natürlich verbringe ich die meiste Zeit damit, Schaubilder zu zeichnen, aber der Graf bringt mir auch ständig neue Wörter bei.
Nicht ständig. Nicht mehr. Die ersten paar Monate waren fabelhaft gewesen, denn bei all seinem Gepolter und Gebrummel hatte der Graf ihm sehr viel beigebracht. Inzwischen konnte er eine Planetenkonjunktion auf den ersten Blick erkennen, und nachts träumte er vom Tierkreis, von den Sternzeichen, die sich vor seinen Augen in fantastische Tiere verwandelten. Der Graf hatte sogar dafür gesorgt, dass ihre Mahlzeiten aus einem nahe gelegenen Restaurant in den Turm gebracht wurden, sodass Mark zu seiner großen Erleichterung sich fortan nie mehr um die Küche kümmern musste.
Seit das Wetter jedoch wärmer wurde, zog der Graf sich mehr und mehr in seinen persönlichen Winter zurück, verlangte, dass Mark sich immer mehr und mehr merkte, stopfte ihn mit geheimnisvollem Wissen voll, bis ihm die Hände vom Abschreiben wehtaten und die Augen im trüben Licht tränten.
Prognose. Auch so ein tolles Wort. Es bedeutet, die Zukunft voraussagen. Genau das werde ich schon bald tun! Ich zähle bereits die Tage bis zum Agora-Tag …
Mark machte eine kleine Pause und legte die Feder hin. Er wusste das natürlich schon seit dem Frühling, aber es niederzuschreiben machte es so greifbar, so wahrhaftig.
Ich übe die ganze Zeit und schreibe alle Zeichen, die ich gesehen habe, nieder. Letzte Nacht habe ich eine Sternschnuppe im Zeichen der Waage gesehen. Das bedeutet, dass im kommenden Monat etwas Wichtiges und Unvorhergesehenes passiert, vielleicht sogar gleich am ersten Tag.
Der erste Tag im Monat der Waage und eines neuen Jahres. Der Agora-Tag. Der Tag des großen Festes. Der wichtigste Tag des Jahres.
Der Tag, an dem er seine erste öffentliche Prophezeiung durchfuhren und offiziell in die Gilde der Sterndeuter aufgenommen werden sollte.
Ich hoffe, dass dieses Zeichen Erfolg bedeutet. Es befand sich in Konjunktion mit Jupiter. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Der Graf hat gesagt, er will mich leiten, aber am Agora-Tag treffen alle Sterndeuter eine Voraussage. Das gehört zum Fest dazu. Alle erwarten es. So viel zu deiner Bemerkung, ich würde nie etwas mit all dem Zeug anfangen! Wer von uns wird jetzt vor allen Leuten ganz oben auf dem Podium stehen?
Mark überlegte kurz. Er hoffte, dass Lily diese letzte Zeile genau so verstand, wie er sie meinte: als Scherz. Es war so viel schöner gewesen, als sie ihn noch besuchen konnte, auch wenn es nur ein oder zwei Mal im Monat war. Aber Mark hatte nur gewagt, sie einzuladen, wenn er einen freien Tag bekommen hatte, und er achtete stets darauf, dass sein Meister sie nicht zu Gesicht bekam. Der Graf sah es nicht einmal gern, dass er ihr schrieb, denn er wusste, dass sie noch immer die Gehilfin des Doktors war.
Nun, mittlerweile hätte Mark ohnehin keine Zeit mehr gehabt, sie zu sehen. Je näher der Agora-Tag rückte, desto härter ließ der Graf ihn arbeiten.
Mark hielt die Schreibfeder ins Licht der Kerzenflamme, das
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