Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
Vom Netzwerk:
einzige Licht in diesem fensterlosen Raum. Er hatte sich so sehr bemüht, doch für alles schien es so viele verschiedene Auslegungen zu geben, so viele mögliche Ausgänge. Er hatte dem Grafen sagen wollen, dass er noch nicht so weit war, aber unter dem strengen Blick seines Meisters waren ihm die Worte auf den Lippen erstarrt. Der Graf machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass Mark nur eine einzige Chance hatte, vom Rest der Gilde aufgenommen zu werden – andernfalls hieß es, für den Rest seines Lebens zurück in die Küche.
    »Die Zeit naht«, hatte der Graf eines Morgens nach einer langen Nacht der Sternguckerei zu ihm gesagt. »Bald bist du so weit. Am Agora-Tag wirst du deine Voraussagen kundtun, und alle meine Rivalen werden zum Schweigen gebracht.«
    »Ihre Rivalen, Sir?«, hatte Mark vorsichtig gefragt.
    Der Graf hatte ihn mit funkelnden Augen angesehen. »Es gibt so manchen, der den Wert der Sternenkunde anzweifelt, Mark, sie für kaum mehr hält als Augenwischerei und nicht für die höchste aller Wissenschaften. Diese schwachen Geister versuchen uns zu unterwandern und einen Familiennamen in den Dreck zu ziehen, der so alt ist wie Agora selbst. Aber du wirst ihnen zeigen, dass sie sich getäuscht haben, Mark.« Der Graf war auf ihn zugekommen, hatte ihn an den Schultern gepackt und flüsternd gesagt: »Du wirst die wahre Natur der Sterne offenbaren.«
    Und Mark hatte ihm ins Gesicht gesehen und sich auf einmal sehr stolz gefühlt. Was auch immer der Graf von ihm offenbart haben wollte, dieser große Mann hatte sein Vertrauen in ihn gesetzt. In seinen Augen war er etwas wert, und Mark hatte sich fest vorgenommen, ihn nicht zu enttäuschen.
    Mark tauchte die Feder wieder in die Tinte.
     
    Der Graf hat heute wieder Besuch, die Gleichen, von denen ich dir bereits erzählt habe. Mr Prendergast, der Anwalt, ist in Ordnung, glaube ich, aber er redet immer mit mir wie mit einem kleinen Kind, und außerdem riecht er nach verfaulten Blumen. Snutworth hat mir erzählt, dass er sich einmal mit diesem grauenhaften Parfüm hat bezahlen lassen, und niemand es für etwas anderes eintauschen will, deshalb trägt er es zum Trotz ständig. Snutworth kennt Hunderte solcher Geschichten. Ohne ihn könnte ich über nichts anderes nachdenken als über Arbeit. Du musst ihn unbedingt kennen lernen, Lily. Er ist so wie du, ihm fällt einfach alles auf.
     
    Mark hob den Blick zur Decke und fühlte sich mit einem Mal sehr einsam, hier im Vorzimmer unterhalb des Observatoriums, wo er darauf wartete, dass der Graf ihn brauchte. Wenn er wenigstens Snutworth zur Unterhaltung da hätte, aber Mr Prendergast hatte ihn weggeschickt, um Neuigkeiten hinsichtlich der Festvorbereitungen einzuholen. Es waren nur noch zwei Wochen bis zum großen Tag.
     
    Und dann dieser Mr Laudate. Mr Prendergast nennt ihn nur Laud. Ich glaube, er mag mich nicht besonders. Er schaut mich nicht einmal an, wenn er vorbeikommt. Snutworth sagt allerdings, dass Laudate eigentlich niemanden so recht leiden kann. Kommt angeblich davon, dass er sein ganzes Leben damit verbringt, Leute für Geld zu loben und zu preisen. Mr Laudate scheint ihnen sehr wichtig zu sein, aber ich glaube nicht, dass er viel älter ist als wir, ein paar Jahre höchstens.
     
    Mark unterbrach sich erneut. Er hatte fast das Ende des Papierbogens erreicht. Seine Feder schwebte über der Seite. Sollte er sich nach Doktor Theophilus erkundigen? Lily würde sich womöglich darüber freuen, aber das eine Mal, als er nach ihm gefragt hatte, hatte der Graf den Brief gefunden und ihn ins Feuer geworfen, ehe Mark ihn abschicken konnte. Die Zimmer des Doktors waren seither verschlossen geblieben, und sein Bild war von der Wand genommen worden. Mark war ziemlich sicher, dass er einige der alten Kleider des Doktors trug, aber sie waren besser als alles, was er jemals zuvor besessen hatte, auch wenn sie für jemanden angefertigt worden waren, der etwas größer und dünner war als er. Aber er wagte nicht, danach zu fragen. Der Graf war mit der Zeit etwas zugänglicher geworden, doch sein alter Zorn konnte trotzdem jederzeit wieder aus ihm hervorbrechen.
     
    Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung und es geht dir gut.
     
    Von oben hörte er Bruchstücke einer Unterhaltung, die durch den Boden drangen. Er war sich nicht sicher, aber es hörte sich an, als hätte der Graf die Stimme erhoben, während eine jüngere Stimme, womöglich die von Laudate, ebenfalls immer lauter wurde, um ihm Paroli zu bieten.

Weitere Kostenlose Bücher