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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Wesen, zu dessen Lob dieser alte Tempel, in dem sie lebte, errichtet worden war, dass etwas, irgendetwas, diesen langsamen, schmerzlichen Zusammenbruch aufhalten möge.
    Als sie den Blick hob, bemerkte sie etwas Eigenartiges.
    Nicht weit von ihr entfernt sprach Lord Ruthven leise mit mehreren schwarz gekleideten Gestalten. Irgendetwas summte nicht. Ein Mann von Lord Ruthvens Stand musste nicht so in der Dunkelheit umherschleichen. Niemand hätte gewagt, ihn bei irgendetwas aufzuhalten. Im Schutz der dunklen Schatten des Gebäudes beugte sie sich näher heran.
    »… das Treffen ist heute Nacht, Mylord, Sie werden bereits erwartet.«
    »Ich dachte, sie wüssten, dass ich heute Abend nicht abkömmlich bin«, zischte Lord Ruthven, nahm seine Maske ab und sah sich misstrauisch um.
    Lily erschrak, aber es gelang ihr, sich völlig ruhig zu verhalten. Lord Ruthven schien sie nicht zu bemerken. Sie sah zu, wie er hastig einen alten, unauffälligen Mantel über seine elegante Kleidung zog und erneut sprach.
    »Ich werde im Uhrwerkhaus zu ihnen stoßen, aber sie sollten bedenken, dass ich der Vorsitzende dieses Bundes bin und mich nicht einfach aus einer Laune heraus herbeirufen lasse.«
    Es sein denn …
    Selbst der Lordoberrichter stand nicht über dem Gesetz.
    Als er in der Dunkelheit verschwand, stellte Lily fest, dass ihre Füße ihm folgten. Also zog sie sich die Kapuze ihres geliehenen Mantels über, hielt ihre weiße Maske in ihrem langen schwarzen Ärmel fest umklammert und verschmolz mit der Nacht. Irgendwo in ihrem Kopf legte sie sich bereits eine Rechtfertigung zurecht. Sollte sich Lord Ruthven als korrupt erweisen, würde das Schicksal der Stadt womöglich in völlig andere Bahnen geraten. Vielleicht bestand sein Geheimnis ja darin, das Leben anderer Menschen zu zerstören. Schon schloss sie andere Gründe völlig aus ihren Überlegungen aus – plötzliche, brennende und überwältigende Neugier hatte sie gepackt. Sie musste einfach wissen, was da vor sich ging.
     
    Es war nicht einfach, Lord Ruthven zu folgen, besonders dann nicht, als er über den großen Marktplatz trottete und in den Fische-Bezirk hineinging, wo er sich unter die tausend anderen mischte, die in dunkler, schlammbeschmutzter Kleidung ihren nächtlichen Tätigkeiten nachgingen.
    Lily erschauerte unwillkürlich, als sie unter dem bröckelnden Torbogen hindurch den Fische-Bezirk betrat. Die beiden eingemeißelten Fische schienen sie anzustarren. Ihr einziger Trost bestand darin, dass die Graue Seuche im Laufe des vergangenen Jahres beinahe verschwunden zu sein schien. Natürlich grassierten hier noch alle möglichen anderen Krankheiten, aber zur Hochzeit der Seuche hätte sie, ganz egal wie neugierig sie auch gewesen sein mochte, keinen Fuß in diesen Bezirk gesetzt. Sogar jetzt verunsicherte sie dieser Teil der Stadt noch sehr, besonders bei Nacht.
    Diese Stadt schlief nie, aber in der Dunkelheit zeigte sie ein anderes Gesicht – viel rauer und zwielichtiger. Lily hörte aus einer Kneipe Gelächter schallen, überall roch es schal und abgestanden. Zum Glück konnte sie im Mondlicht die Glitzerteilchen von der Maske sehen, die nach wie vor an Lord Ruthvens für diese Gegend immer noch ein wenig zu edel wirkendem Mantel hingen.
    Immer tiefer drangen sie in die verschlungenen Straßen ein. Fischergasse, Weberstraße … Lily versuchte, sich den Weg zu merken, spähte über die Schulter, um die Straßenschilder zu lesen. Sie passte auf, dass sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlor, aber als sie sich wieder einmal umdrehte, stellte sie mit Entsetzen fest, dass sie ebenfalls verfolgt wurde. Jedes Mal, wenn sie den Kopf wandte, waren sie da – ein Mann und eine Frau, die ihre Gesichter unter schweren Kapuzen verborgen hielten und mit jedem Schritt näher kamen. Um sicherzugehen, bog Lily in eine Seitenstraße ab. Wie erwartet tauchte kurz darauf das Laternenlicht der Frau um die Ecke auf. Lily zwang sich, nicht schneller zu gehen, ihre Angst nicht zu zeigen, die ihr das Herz bis in die Ohren dröhnen ließ. Was, wenn es sich um Ruthvens Diener handelte? Nirgendwo war eine Eintreiberstreife in Sicht, und selbst die würde wenig helfen, wenn der Lordoberrichter sie dabei erwischte, wie sie ihm nachspionierte. Ihre Schritte beschleunigten sich unbeabsichtigt, und am liebsten wäre sie davongerannt. Nicht weit vor ihr kam eine Gruppe aus einer anderen Straße heraus. Lieder wurden gegrölt, der Geruch von Gin und Schweiß hing in der Luft, und Lily schob

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