Die Stadt der verkauften Traeume
Das Leuchtfeuer, wie sie es nannten. Sie hatten es aufgehängt, um den Leuten den Weg zu ihrer Tür zu weisen. Es war Lauds Idee gewesen, eine Art Zeichen. Das Almosenhaus war nicht das Ende eines Weges, ein Ort zum Sterben, sondern ein Weg zurück für die, die verloren waren. In der ersten Nacht, als sie es aufhängten, sahen sie, dass es auch Miss Devines Laden anstrahlte. Der Glasschmuck glitzerte im Laternenlicht. Auch sie hatte trotz der späten Stunde noch geöffnet. Als Lily, Gloria und Pete näher kamen, tauchte sie im Eingang auf, eingerahmt vom Licht aus dem Ladeninneren. Sie nickte ihnen mit wie immer undurchschaubarem Gesichtsausdruck zu. Erst vor kurzem hatte sie die Miete verringert. Lily hätte so gern glauben wollen, wie Benedikta es ausgedrückt hatte, dass sie sich ihre Barmherzigkeit zu Herzen genommen hatte. Doch das hätte geheißen, den unaufhörlichen Strom derer zu übersehen, die, ohne etwas anderes zu verkaufen zu haben, das Almosenhaus verließen und direkt in Miss Devines Laden traten. Miss Devine machte ein gutes Geschäft. Einer der Stammgäste im Almosenhaus sprach kaum noch. Er schien der ganzen Welt gegenüber gleichgültig zu sein. Er hatte nichts mehr zu verkaufen.
Lily ließ Gloria und Pete vorausgehen, denn sie wollte noch ein bisschen länger in der Nachduft stehen bleiben. Sie hoffte, Theo würde heute Nacht da sein. Normalerweise wirkte sich seine Anwesenheit beruhigend auf sie aus, und vielleicht konnte sie mit ihm sogar über Lord Ruthvens Machenschaften sprechen. Bei Benedikta und Gloria musste immer sie alle Antworten wissen. Lily schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick würde sie sogar ein paar von Lauds boshaften Bemerkungen zu schätzen wissen, Hauptsache, sie würde von ihren Gedanken abgelenkt.
Irgendetwas, was Marks Worte aus ihrem Kopf verbannte. Sie hatte ihm eigentlich mehr zugetraut.
»Lily!«
Benedikta war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte sie an der Hand genommen. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.
»Er hat ihn gefunden! Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, aber er hat ihn gefunden!«
Lily ließ sich von ihr ins Almosenhaus ziehen. Zunächst sah sie da drinnen nur, was sie immer sah – reihenweise Menschen, die nirgendwo sonst hinkonnten. Auf Bänke gesunken, miteinander im Gespräch, trotz allem immer noch am Leben.
Und dann sah sie ihn. Ganz hinten. Theo fütterte ihn mit einer Tasse Suppe und hielt den Löffel dabei übervorsichtig. Abgerissen, zusammengesunken, aber am Leben.
»Graf Stelli«, hauchte Lily.
Theo blickte auf und warf ihr ein müdes Lächeln zu. Er wirkte fröhlicher als in all den Monaten zuvor.
Während Lily noch ungläubig hinschaute, bemerkte sie eine anderen Person neben sich. Laud war ebenfalls zurückgekehrt, aber er betrachtete die Szene mit einem weniger mitfühlenden Blick.
»Das verdient er nicht«, schnaubte er. »Nicht nachdem er ihn enterbt hat. Nicht nachdem er sein ganzes Leben lang andere so behandelt hat, als wären sie wertlos.«
Lily sah ihn an. »Ich weiß. Aber gerade darum geht es doch, oder?«
Laud dachte einen Augenblick nach. Dann sah es so aus, als zuckten sein Mundwinkel nach oben.
»Da ist was Wahres dran.«
Danach sahen sie einfach zu, wie Theophilus den nächsten Löffel füllte und ihn an die Lippen seines Großvaters hob.
KAPITEL 15
Die Tochter
Er hatte keine Ahnung, wie er sich dazu hatte überreden lassen.
Na ja, das war gelogen, aber damit fühlte er sich deutlich besser. Er wusste genau, wie es passiert war. Es war Lilys Schuld gewesen. Nach seinem Ball hatte er sich tagelang nicht wohl gefühlt, ganz gleich, wie sehr Snutworth ihm auch versichert hatte, dass die ganze Sache ein grandioser Erfolg gewesen sei. Lilys Worte hallten immer noch in seinem Schädel nach.
Am Ende gerät jeder in einen Kampf, den er nur verlieren kann.
Es war ihm im Kopf herumgegangen, als er sich am Vortag mit dem Juwelierskonsortium getroffen hatte, und das Ergebnis war kein gutes gewesen. Es hatte ihm in den Ohren geklungen, als er die Berichte gelesen hatte, in denen von einem plötzlichen Rückgang seiner Einnahmen die Rede war. Es hatte ihn nicht verlassen, bis Snutworth, stets aufmerksam, die Vermutung äußerte, er sei womöglich nicht ganz zufrieden mit sich und der Welt.
»Es ist nur … Irgendwie kommt es mir vor, als gehörte ich nicht richtig dazu«, knurrte Mark, als er einige Tage nach dem Ball zusammen mit Snutworth und Laudate zu Abend aß. »Sie lassen mich noch
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