Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
und
niemand nahm von der kleinen Gruppe auch nur die geringste
Notiz.
Sarn hatte gesagt, dass er sie zu einem sicheren Ort
bringen
würde, wo sie ausruhen und sich auf den letzten, gefährlichsten
Teil ihrer Flucht vorbereiten konnten. Mike war zutiefst
erschüttert, als sie durch die zerstörte Stadt gingen. Er hatte
Schlimmes erwartet, aber die Wirklichkeit übertraf seine
Befürchtungen bei weitem.
Buchstäblich kein einziges Gebäude war unbeschädigt
geblieben. Die meisten größeren Häuser und Türme waren ganz
zusammengebrochen, die Fassaden der anderen Häuser von
Rissen durchzogen. Ganze Mauerteile waren auf die Straße
gestürzt, Dächer eingesunken. Zahlreiche Bewohner der Stadt
trugen Verbände und er sah mehr als einen Karren, auf denen in
Tücher gehüllte Leichname fortgebracht wurden.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Singh, der neben ihm
ging. »Mir geht es genauso, glaub mir. Aber wir können nichts
für diese Leute hier tun.«
Wahrscheinlich stimmt das auch, dachte Mike niedergeschlagen. Selbst wenn es Argos und seine Krieger
nicht
gegeben hätte, hätten sie den Menschen hier nicht helfen
können. Die NAUTILUS war einfach zu klein, um Tausende und
Abertausende von Flüchtlingen in Sicherheit zu bringen.
Trotzdem sträubte sich alles in ihm dagegen, einfach so
aufzugeben. Und er verstand auch nicht wirklich, wieso Singh
es tat. Gerade der Inder, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit
Leibeigener und Sklave gewesen war, sollte eigentlich anders
denken. Mike hatte mehr als einmal erlebt, dass Singh selbst in
vermeintlich aussichtslosen Situationen nicht aufgab.
Auch das Haus, in das Sarn sie brachte, war wenig mehr als
eine Ruine. Das Dach war eingestürzt und die komplette
Straßenfront einfach verschwunden, sodass das gesamte
Gebäude wie eine zu groß geratene, allerdings sehr
unordentliche Puppenstube aussah. Sarn führte sie durch das
verwüstete Innere des Gebäudes bis zu einer Treppe, die in
einen Kellerraum hinabführte. Eine einzelne, stark rußende
Fackel verbreitete mehr Schatten als Licht, und Mike rechnete
eigentlich damit, dass sie nun weitergingen, um sich irgendwo
in dem unterirdischen Labyrinth unter Lemura zu verbergen.
Sarn deutete jedoch nur auf den Boden und murmelte müde,
dass sie es sich bequem machen sollten. Er war der Einzige, der
sich nicht unverzüglich auf dem harten Boden ausstreckte.
»Willst du nicht schlafen?«, erkundigte sich Mike. »Du musst
doch hundemüde sein.«
»Das bin ich«, bestätigte Sarn. »Aber ich muss weiter. Wir
haben nicht viel Zeit. Im Moment herrscht überall Chaos. Die
Wachen werden unaufmerksam sein. Aber das bleibt bestimmt
nicht lange so. Ich werde gehen und nachsehen, ob der Weg noch
frei ist, den ich kenne. Ich fürchte, dass auch hier unten viele
Gänge eingestürzt sind.« Er wiederholte seine deutende Geste,
obwohl sich Mike längst auf dem nackten Boden ausgestreckt
hatte. »Schlaf. Viel Zeit ist nicht. Ich bin in ein paar Stunden
zurück und dann müssen wir vielleicht sofort aufbrechen.«
Er ging. Mike sah ihm nach, bis er im Halbdunkel des Kellers
verschwunden war. Etwas polterte, dann hörte er ein Knarren
wie von einem uralten, rostigen Scharnier.
»Ich möchte wissen, wohin er geht«, murmelte Singh
neben
ihm.
Mike drehte den Kopf und sah den Inder an. Singh hatte
sich auf einen Ellbogen aufgerichtet und machte ein
nachdenkliches Gesicht.
»Du traust ihm nicht?«, fragte Mike.
Singh deutete ein Achselzucken an. »Ich glaube, ich
traue
niemandem mehr«, sagte er geradeheraus. »Es wird wohl eine
Weile dauern, bis ich das wieder lerne. Es ist nur ... ich weiß, wo
die NAUTILUS liegt. Man braucht keine halbe Stunde. Hin und
zurück.«
Mike überlegte angestrengt. Er konnte sich absolut
keinen
Grund vorstellen, aus dem Sarn sie hintergehen sollte.
Immerhin hatte er sein Leben und das seiner Leute riskiert, um
ihn und seine Freunde zu befreien. Warum also sollte er sie
belügen? Mit diesem Gedanken schlief er ein.
    Als er erwachte, war Sarn zurück. Mike hatte das Gefühl, so gut
wie gar nicht geschlafen zu haben, schien sogar noch müder
als zuvor, aber er wurde schlagartig wach, als er Sarn sah, der
neben zweien seiner Leute hockte und sich leise mit ihnen
unterhielt. Er konnte nicht verstehen, worum es ging, aber Sarns
besorgter Gesichtsausdruck sagte genug. Mike wandte den
Kopf. Ben, Chris und Juan hatten sich direkt neben ihm
zusammengekuschelt und schliefen den tiefen Schlaf

Weitere Kostenlose Bücher