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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kann.«
Sarn seufzte, sagte aber nichts mehr. Doch auch Singh war von
seinem Vorschlag offenbar nicht sehr begeistert. »Sarn hat nicht
ganz Unrecht«, sagte er. »Astaroth würde nur auffallen.«
Wenn ich nicht gesehen werden will, dann werde ich nicht
gesehen, behauptete Astaroth. Auch von diesen
beiden
Streithähnen nicht. Also sag doch einfach Ja und Amen und ich
kümmere mich um sie.
Wahrscheinlich ist das die einfachste Lösung, dachte Mike. Er
sagte nichts mehr, sondern deutete nur ein Achselzucken an und
stand auf. Sarn ging noch einmal zu seinen Männern und
erteilte ihnen einige halblaute Anweisungen, wobei er
achselzuckend auf Mike und Singh deutete, dann verließen er
und der Inder den Keller.
Mike beugte sich zu Ben, Chris und Juan hinunter
und
weckte sie der Reihe nach. Die drei Jungen erwachten
schlagartig und sofort war die Angst in ihren Augen wieder da.
»Erschreckt nicht«, sagte Mike zu ihnen. »Aber wir
müssen
los.«
»Wohin bringt Ihr uns, Herr?«, fragte Ben.
Es war ein sonderbares Gefühl; fast schon unheimlich. Mike
hatte plötzlich einen harten Kloß im Hals. Ausgerechnet Ben,
mit dem er so oft aneinander geraten war, nannte ihn nun Herr und sah ihn aus Augen an, in denen nichts als Angst und
Erschöpfung war. Mike brauchte ein paar Sekunden, bevor
er überhaupt antworten konnte.
»An einen sicheren Ort«, antwortete er. »Niemand
wird
euch dort etwas tun. Aber ihr müsst sehr vorsichtig sein. Bis
wir ihn erreichen, dürft ihr mit niemandem reden und müsst
genau das tun, was ich euch sage. Habt ihr das verstanden?«
»Ja, Herr«, antwortete Ben. Juan und Chris nickten hastig und
wieder verspürte Mike einen raschen, eisigen Schauer. Aber er
sagte nichts mehr. Es war wohl die einfachste Lösung, im
Moment alles so zu lassen, wie es war.
Sie verließen den Keller auf demselben Weg, auf dem sie
gekommen waren. Einer von Sarns Männern, der die Führung
übernommen hatte, deutete nach links und sie marschierten
im Gänsemarsch los. Mike konnte ein neuerliches
Schaudern nicht unterdrücken, als sie sich durch die zerstörten
Straßen bewegten. Die Menschen waren noch immer dabei, sich
um ihre Verwundeten zu kümmern oder Tote unter
den
Trümmern auszugraben, aber niemand rührte auch nur einen
Finger, um die Folgen des Erdbebens zu beseitigen. Niemand
hatte angefangen die Trümmer wegzuschaffen oder die
baufälligen Gebäude abzureißen oder wenigstens zu sichern.
»Was ist hier los?« Mike wandte sich an den Mann, der die
Führung übernommen hatte. »Wieso tut hier niemand etwas?
Warum versucht niemand die Häuser instand zu setzen – oder
wenigstens die Trümmer wegzuschaffen?«
»Weil es ihnen niemand befohlen hat«, sagte der Mann in
erstauntem Tonfall; als hätte er etwas unwahrscheinlich Naives
gefragt. »Niemand tut hier etwas, das ihm nicht ausdrücklich
befohlen worden ist.« Das musste Mike erst einmal verarbeiten.
Er hatte gewusst, dass Argos und die anderen absolute Herrscher
über die unterirdische Stadt und ihre Bewohner waren – aber
nicht, dass ihre Herrschaft so weit ging, den Lemurern selbst
die selbstverständlichsten Dinge vorschreiben zu müssen.
Als sie sich dem Palast näherten – oder besser dem, was
davon übrig war –, nahm die Anzahl der Krieger auf der Straße
zu. Sie wurden weder aufgehalten noch angesprochen, aber die
Männer beäugten jeden, der sich auf der Straße bewegte, mit
misstrauischen Blicken. Schließlich wichen sie vom direkten
Weg auf den Palast ab und betraten ein halb zerstörtes Gebäude,
das von seinen Bewohnern offensichtlich aufgegeben worden
war. Sie mussten erst mit vereinten Kräften die Trümmer
beiseite räumen, ehe sie wieder in einen der Mike mittlerweile
sattsam bekannten Keller hinabstiegen.
Wieder ging es für eine Weile durch unterirdische
Stollen
und Gänge, die zum Teil künstlich angelegt, zum Teil
natürlichen Ursprungs zu sein schienen.
Endlich
– nach
Stunden, wie es Mike vorkam – hielten sie an und ihr Führer
deutete auf eine hastig zusammengezimmerte Leiter, die vor
ihnen in die Höhe führte.
»Wir müssen jetzt vorsichtig sein«, sagte er, wobei er
instinktiv die Stimme zu einem halblauten Flüstern
gesenkt
hatte. »Dort oben liegt der Hafen. Sagt nichts und tut nichts, was
ich euch nicht sage.«
Er selbst war der Erste, der über die Leiter in die Höhe
stieg, dicht gefolgt von Mike. Sie gelangten in einen Kellerraum,
dessen Decke zum Teil eingestürzt war, sodass sie in

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