Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
weiß«, seufzte Mike. »Aber dann bleibt mir wohl nichts
anderes übrig als auf ein weiteres Wunder zu vertrauen.«
    Er bekam es und mehr als nur eines. Nachdem er einen
günstigen Augenblick abgewartet hatte, schlüpfte er unbemerkt
aus der Kammer und reihte sich wieder in die Schlange ein, die
sich ihrer Last entledigt hatte und zurück zur Treppe ging. Mike
hatte noch keine Ahnung, wie er dem Wächter dort entgehen
sollte, und er vertraute einfach auf seine Intuition und
Glück, aber beides erwies sich als nicht notwendig. Als er sich
der Treppe näherte, begann der Boden unter seinen Füßen zu
zittern, und plötzlich bäumte sich das große Schiff wie unter
einem Hammerschlag auf, legte sich auf die linke Seite und
dann ruckartig auf die andere. Mike wurde wie alle anderen
von den Füßen gerissen, prallte unsanft gegen die Wand und
hörte einen Chor gellender Schreie. Einige Männer
stürzten
kopfüber die Treppe hinunter, andere hatten mehr Glück und
konnten sich im letzten Moment am Geländer festklammern und
auch hier unten herrschte für Momente das reine Chaos.
Offensichtlich wurde Lemura von einem weiteren Seebeben
geschüttelt, das auch die NAUTILUS kräftig durchrüttelte. Fast
jeder Mann war zu Boden geschleudert worden und der
Wächter war gar nicht mehr zu sehen und unter einem Berg
von übereinander gestürzten Körpern verschwunden.
    Mike nutzte seine Chance sofort. Die NAUTILUS zitterte noch
leicht und jedermann, der dazu in der Lage war, klammerte sich
in Erwartung einer neuen Erschütterung irgendwo fest. Mike
jedoch war mit einem Satz über die Gestürzten hinweg, flitzte
zur nächsten Gangkreuzung und rannte nach rechts.
    Ohne anzuhalten stürmte er weiter, erreichte die Treppe im
vorderen Teil der NAUTILUS und hielt einen Moment inne. Er
befand sich jetzt unmittelbar unter dem Salon, der gleichzeitig
die Kommandozentrale der NAUTILUS darstellte. Über ihm
erklangen Stimmen, was kein gutes Zeichen war. Die Sklaven, die
die NAUTILUS beluden, verrichteten ihre Arbeit schweigend und
durften gar nicht reden. Also waren dort Argos’ Männer. Mikes
Gedanken drehten sich für einen Moment wild im Kreis, ohne
dass er zu einem Ergebnis gelangt wäre. Er hatte gar keine
andere Wahl als einfach loszugehen und zu sehen, was geschah.
Mike gestand sich im Stillen ein, dass ihr Plan, die NAUTILUS
zurückzuerobern, gewisse Lücken aufwies – um nicht zu sagen:
Es gab gar keinen Plan.
    Langsam bewegte er sich die Wendeltreppe hinauf.
Die
Stimmen wurden lauter und klangen jetzt eindeutig aufgeregt,
wenn nicht wütend. Als Mike weiterging, gewahrte er einige
Männer in den Uniformen der Palastgarde, die sich gerade vom
Boden aufrappelten oder sich mit schmerzverzerrten Gesichtern
die Glieder rieben. Das Seebeben hatte sie ebenso durcheinander
geworfen wie die Sklaven weiter unten im Schiff. Vielleicht
würden sie in all der Aufregung gar keine Notiz von ihm
nehmen.
    Mike versuchte einen ebenso leeren Ausdruck auf
sein
Gesicht zu zaubern, wie er ihn auf dem Bens und denen der
anderen Sklaven gesehen hatte, und ging mit ruhigen Schritten
an den Kriegern vorbei. Der Trick schien zu funktionieren.
Einer der Männer sah ihm stirnrunzelnd nach, zuckte dann
aber nur mit den Schultern und fuhr fort seine schmerzenden
Rippen zu massieren. Vollkommen unbehelligt erreichte Mike
die Tür zum Salon und trat ein.
    In dem großen Raum hielten sich vier Männer auf und Mike
konnte ein erleichtertes Seufzen nur mit großer
Mühe
unterdrücken, als er in einem von ihnen niemand anderen als
Trautman erkannte. Der Steuermann blickte gerade nicht in
seine Richtung, sondern war in eine hitzige Debatte mit einem
hoch gewachsenen Atlanter verstrickt. Langsam, aber ohne
zu stocken, ging Mike auf die beiden zu. Kurz bevor er das
Kommandopult im hinteren Teil des Salons erreichte, drehte
sich Trautman herum und sah ihn an.
    Er brach mitten im Wort ab. Seine Augen wurden groß und
für einen Moment erschien ein Ausdruck absoluter
Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht.
    Mike senkte hastig den Blick und sagte leise: »Herr?«
Es war der gefährlichste Moment überhaupt. Mikes Herz
schlug zum Zerreißen und er rechnete fast damit, dass sich die
beiden Krieger, die nur ein Stück hinter ihm standen, nun
unverzüglich auf ihn stürzen würden. Aber Trautman reagierte
sofort und auf die einzig richtige Art: Mike sah aus den
Augenwinkeln, wie der erschrockene Ausdruck auf seinem
Gesicht perfekt gespieltem Zorn

Weitere Kostenlose Bücher