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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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siebter, menschlicher, weiblicher – vertrauter.
    »Also los, Kritiker!«
    Ich blickte von meiner Wanne mit Clorox auf, wo Casablanca gerade der Vergessenheit zublubberte. Die Türöffnung rahmte sie ein.
    »Martina? Martina?«
    »Hallo, Jack.« Ihr Silberlame-Kleid umschmeichelte ihre Formen wie eine kunstvoll gearbeitete zweite Haut. Eine passende Handtasche hing ihr über die Schulter. Ich hatte bisher noch nie eine so unehrlich aufgemacht Veritasianerin gesehen – aber natürlich war Martina augenscheinlich viel mehr als eine Veritasianerin.
    »Hat der Wachtposten dich durchgelassen?« fragte ich erstaunt.
    »Nachdem ich ihm versprochen habe, morgen mit ihm zu kopulieren, ja.«
    Die Wahrheit? Eine Halbwahrheit? Es gab keine Möglichkeit, so wurde mir mit einem plötzlichen angstvollen Schauder bewußt, die Ehrlichkeit dieser Frau abzuschätzen. »Ich freue mich außerordentlich, dich zu sehen«, sagte ich. »Ich bin zu dieser Adresse gegangen, die du mir gegeben hast, aber…«
    »Nur einmal im Leben möchte ich einen Mann kennenlernen, dessen Genitalien nicht sein Leben bestimmen.«
    »Ich wollte mit dir reden, das ist alles. Nur reden. Ich habe auch Boris den Muschelbuddler kennengelernt.«
    Martina öffnete ihre silberne Handtasche und holte eine Einliterflasche Charlies Billigfusel und zwei Styroporbecher heraus. »Hat er irgendwas von zweihundert Eiern gesagt?«
    »Hm-hm.«
    »Er wird sie nicht bekommen.« Sie stellte die Becher auf meine Arbeitsplatte und füllte sie mit schlammfarbenem Wein. »Ich nehme an, er hat dir auch erzählt, wir wären miteinander im Bett gewesen?«
    »Ja.«
    »Zum Teufel, Jack, du weißt mehr über mein Privatleben als ich.« Sie griff nach ihrem Becher mit Charlies und streifte durch mein Arbeitszimmer, wobei ihre Brüste wogten wie die Schiffahrtsbojen in der Becket-Bucht, und ihre Hüften schaukelten wie Teighügel, die von einem Pizzabäcker hochgeworfen werden.
    All das war an mich verschwendet, jedes Wogen und jedes Wallen. Meine Begierde war gestorben, als Prendergorst fatal gesagt hatte; ich war von einem Adjektiv kastriert worden.
    Ich griff nach meinem Wein und kippte ihn mit einem Schluck hinunter.
    »Hier ist also der Ort des Geschehens.« Martina blieb vor dem Regal mit meinen Werkzeugen stehen, streichelte meine Äxte, fummelte an meinen Blechschneidern herum, strich mit den Fingern über meine Sägen, Zangen und Bohrer. »Eindrucksvoll…«
    »Wo wohnst du jetzt?« fragte ich und füllte meinen Becher nach.
    »Bei einer Freundin. Ich kann mir nichts Besseres leisten – Widerlich und Spröde haben meine Muttertagsserie abgelehnt.« Sie trank ihren Charlies aus. »Dabei fällt mir ein – du erinnerst dich bestimmt an dieses Blatt mit Versen, das ich dir gegeben habe?«
    Wie ein Eichhörnchen, das sich mit Eicheln vollpackt, plusterte ich meine Backen mit Wein auf. Ich schluckte. »Diese Verse sind mir niemals aus dem Kopf gegangen. Ja, so ist das.«
    Martina runzelte ernsthaft die Stirn, anscheinend verwirrt durch die Vorstellung, daß ihre Reime in irgendeiner Weise erinnerungswürdig sein könnten. »Ich hätte sie gern zurück. Sie haben dir am Anfang gar nicht gefallen.«
    Der Wein hatte mich inzwischen vollkommen durchdrungen, wärmte mir Hände und Füße und massierte mir das Gehirn. »Sie haben etwas Ansprechendes, auf ihre eigene seichte Art.«
    Die Hüften in voller Aktion, schritt sie an den brodelnden Überresten von Casablanca vorbei, trat zur Tür und schob den Riegel vor. »Ich weiß nicht, was ich gedacht habe, als ich sie aus der Hand gegeben habe. Ich bewahre meine Originalmanuskripte immer auf. Ich gebe dir gern eine Kopie.«
    Da war er also, der endgültige Beweis für Martinas wahre Färbung. Die listige kleine Lügnerin war zu dem Schluß gekommen, daß die Gedichte gefährlich waren – und in ihrem berechtigten Verfolgungswahn hatte sie sich vorgestellt, wie ich hinter die in die Seite eingebettete schamlose Falschheit kommen würde.
    Schwindelig vom Billigfusel, leistete ich keinen Widerstand, als Martina mich durch das Arbeitszimmer zu meinen Aufträgen für die kommende Woche schob – ein Riesenberg von Cassini-Abendkleider, Saint-Laurent-Hemden und Calvin-Klein-Jeans.
    »Also jedenfalls«, sagte sie, während wir uns in die arglistigen Stoffe sinken ließen, »wenn du mir diese Verse zurückgeben könntest…«
    Ihre vollen, feuchten Lippen näherten sich mir, ihre eifrige kleine Hundezunge kam heraus. Sie küßte mich überall; es war

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