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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Verlust«, antwortete der Staatssekretär vergnügt. »Unsere Politik läßt sich unmöglich mit rationalen Argumenten begründen, und aus diesem Grund haben wir angefangen, den Nationalen Sicherheitsdienst und anderen Nichtsnutze einzuberufen.«
    Ich verließ die Duschkabine und tapste mit nacktem Hintern ins Schlafzimmer. Kleider waren natürlich per se betrügerisch, doch Nacktheit erforderte ein spezielles Maß an Kompromißbereitschaft; sie stellte eine fortwährende schweigende Aussage der Provokation und eine eindeutige Aufforderung dar. Ich zog mich an. Nichts Unaufrichtiges: Unterwäsche, ein kragenloses Hemd, einen grauen Anzug im Stil des Zeitalters der Lügen mit abgeschnittenen Aufschlägen. Unsere Wohnung war von ähnlicher Kargheit, auf den Kern der Redlichkeit beschränkt. Viele unserer Freunde hatten Vorhänge, Tapeten und Teppiche, Helen und ich jedoch nicht. Wir waren von patriotischer Gesinnung.
    Der Gestank von abgestandenem Urin schlug mir entgegen, als ich mich dem Aufzug näherte. Welch unseliger Umstand, daß einige Leute das Verbot von sexuell entfremdeten Ruheräumen – INTIMITÄT IST EINE LÜGE, wie uns das blinkende Plakat an der Voltaire-Allee immer wieder ins Gedächtnis rief – in eine allgemeine Angst vor Toiletten umgesetzt hatten. Hatten sie nichts von Volksgesundheit gehört? Volksgesundheit war etwas Harmloses.
    Ich fuhr hinunter, durchquerte die Eingangshalle, verkapselte mich in der Drehtür und trat in Veritas’ dicke, schmutzige Luft hinaus. Mit rußschwarzem Dreck bespritzt stand mein Adäquat auf der anderen Seite der Zweiundachtzigsten Straße. In früheren Zeiten, so hatte ich gehört, konnte man nie sicher sein, daß man seinen Wagen am Morgen undemoliert vorfand oder auch nur an der Stelle, wo man ihn für die Nacht abgestellt hatte. Die Unehrlichkeit war damals so zügellos, daß man den Motor mit einem Schlüssel anließ.
    Ich rauschte an den großartig funktionellen Blöcken vorbei, die das Rathaus darstellten, und erreichte kurz vor Mittag die Marktgegend. Gott sei Dank bot sich ein Parkplatz direkt vor Mollys Reichlich Teurem Spielzeugladen – welche Freude die Leere bereiten kann, grübelte ich, welche Befriedigung ein Nichts.
    »Na, Sie sind aber mal ein hübsches Kerlchen!« säuselte eine habichtgesichtige Verkäuferin, als ich durch die Tür von Mollys Spielzeugladen trat. Teure Marionetten baumelten von der Decke wie die Opfer eines Massenlynchens. »Natürlich nur, wenn man von diesem Kinn absieht.«
    »Ihr Körper ist einigermaßen erregend«, entgegnete ich und ließ den Blick verstohlen an der Verkäuferin auf und ab gleiten. Ein Bertrand-Russell- Universität-T-Shirt spannte sich über ihren Brüsten. Eine schmutzigweiße Hose hielt die Schenkel gefangen. »Aber diese Nase«, fügte ich verzweifelt hinzu. An einen Bürger dieser wahrheitsbesessenen Stadt wurden hohe Anforderungen gestellt.
    Sie deutete auf meinen Ehering, und ihre Miene wurde mürrisch. »Was führt Sie her? Brauchen Sie etwas für die wesentlich jüngere Schwester Ihrer Gemahlin?«
    »Meine Nichte wird heute gebrannt.«
    »Und Sie haben bis zum letzten Tag gewartet, um ihr ein Geschenk zu kaufen?«
    »Stimmt.«
    »Rollschuhe sind zur Zeit beliebt. Letzten Monat haben wir fünfzehn Paar verkauft. Drei wurden als fehlerhaft zurückgebracht.«
    »Zeigen Sie mir, wo ich sie finde.«
    Ich folgte ihr zwischen Gestellen mit Baseballhandschuhen und Plüschtieren hindurch bis zu einem Behälter voller Rollschuhe, alles neue sechsrädrige Typen mit Miniaturdüsen in den Fersen. »Die Riemen reißen in zehn Prozent der Fälle«, gestand die Verkäuferin. »Letzten April ist ein Antrieb explodiert – vielleicht haben Sie die Geschichte im Fernsehen gesehen –, und wissen Sie, was mit dem armen Mädchen geschah? Sie wurde in einen Abzugskanal geschleudert, brach sich den Schädel und starb.«
    »Ich glaube, Connie mag Gelb«, sagte ich und nahm ein Paar Rollschuhe heraus, die die Farbe von Mutterns Mittelmäßiger Margarine hatten. »Ist das eine Einheitsgröße, die immer paßt?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Kosten sie bei Ihnen soviel wie anderswo?«
    »Sie können die gleichen bei Marquand für zwei Dollar weniger bekommen.«
    »Hab keine Zeit. Können Sie sie als Geschenk einpacken?«
    »Ich bin nicht geschickt darin.«
    »Gekauft.«
     
    Ich hatte Gloria versprochen, daß ich nicht nur zu Connies Party nach der Behandlung kommen würde – ich würde auch dem Brand beiwohnen und mein Bestes

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