Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Vorsichtig trete ich einen Schritt vorwärts und mache eine Gestalt aus – lange, schlanke Beine, an den Knöcheln gekreuzt. Sie gehören unübersehbar einem Mann.
»Hallo?« Ein peinliches Zittern schwingt in meiner Stimme mit.
»Du kommst früh. Das gefällt mir.«
»Der Garten sollte doch eigentlich versiegelt sein.«
»Ich bin im Penthouse A aufgewachsen. Es wäre gemein, wenn ich den Garten nicht mehr betreten dürfte, in dem ich aufgewachsen bin.«
»Du bist Elliott, Aprils Bruder?«
Er steckt sich das, was er da raucht, in den Mund. Ich beobachte, wie sich die orange Glut durch das Papier frisst. Seine Bewegungen verraten keinerlei Eile.
»Ja.«
»Weißt du, wo sie ist?«
Er seufzt. »Ich vermute, unser Onkel ist es leid geworden, dass sie ständig dieses Trara um sich macht, und hat sie als unfreiwilligen Gast in sein Schloss geholt.«
»Aber er kann sie doch nicht zwingen, dort zu bleiben.«
Er lacht. »Der Prinz kann. Er kann sie sogar töten, allerdings bezweifle ich, dass er das tun wird.«
»Er würde doch nicht … du bist sicher, dass er das nicht …« Ich bringe das Wort töten nicht über die Lippen. »Er wird ihr doch nicht wehtun, oder?« Ich trete einen Schritt näher und lausche seiner Stimme, um auch ganz sicher zu sein, bevor ich etwas sage. »Du bist der Typ mit der Spritze.«
»Ja.« Möglicherweise streckt er mir die Hand entgegen, aber ich sehe nicht genug, um es mit Gewissheit sagen zu können.
»Blonde Augenbrauen.« Ich versuche mir alles ins Gedächtnis zu rufen, was ich über ihn weiß. Er ist ein oder zwei Jahre älter als April, sprich, er muss achtzehn oder neunzehn sein.
Wieder lacht er, doch als er fortfährt, klingt seine Stimme ernst.
»April meinte, wir könnten dir vertrauen, deshalb werde ich es tun.« Wieder zieht er an seiner Zigarette, was mir einen Blick auf seine schmalen, aristokratischen Finger gestattet. »Möchtest du dich gern hinsetzen?«
Ich strecke die Hand aus, bis ich die Mauer ertasten kann, und lasse mich umständlich darauf nieder. »Diese Soldaten da unten … haben die etwas mit dir zu tun?«
Er hustet. »Sie haben dich doch nicht etwa belästigt, oder? Ich musste sie irgendwo unterbringen, und hier im Haus gibt es mehrere Stockwerke, die nicht mehr bewohnt sind. Es schien mir eine gute Lösung zu sein.«
»Sie tragen Prinz Prosperos Uniformen.«
»Im Augenblick, ja.«
»Wozu brauchst du Soldaten?«, frage ich.
»Für einen Aufstand«, antwortet er. »April und ich planen eine Rebellion.«
Bislang war sein Tonfall leicht gelangweilt, doch nun klingt eine unüberhörbare Eindringlichkeit in seiner leisen Stimme mit. Unwillkürlich beuge ich mich vor. Ich bin viel zu geschockt, um einen Laut von mir zu geben. Was die beiden vorhaben, ist Hochverrat.
In dieser Stadt werden Verräter für ihre Taten mit dem Tod bestraft. Andererseits hat er Soldaten hinter sich.
»Einen Aufstand?«, wiederhole ich schließlich. »Und April ist Teil des Ganzen?« Wie kann April sich an einer Rebellion beteiligen? Sie kann sich ja noch nicht mal entscheiden, was sie anziehen will.
»Das muss sie sogar. Dieser Aufstand – für ihn leben wir.« Er macht eine abrupte Bewegung, und trotz der Dunkelheit kann ich seine Erregung erkennen. »April und ich haben uns hinter einem Vorhang versteckt und zugesehen, wie der große Prinz Prospero unserem Vater die Kehle aufgeschlitzt hat …«
Ich schnappe nach Luft.
Ich kann nicht anders. Ich lege mir sogar die Hand an die Kehle, denn ich kenne … das Gefühl von warmem Blut auf der Haut … entschlossen schiebe ich die Erinnerung beiseite.
»Er hat unseren Vater ermordet. Er hat behauptet, Gesetzlose seien in das Büro des Bürgermeisters eingedrungen. Ich war damals noch ein Junge, und mein Vater wollte um jeden Preis, dass Frieden herrscht, deshalb habe ich geschwiegen. Ich habe gewartet. Und jetzt werden wir den Prinzen auslöschen. Ich werde die Stadt retten.«
Ich versuche seine Züge auszumachen, aber es ist zu dunkel. Merkwürdig, dass er sich ausgerechnet hier mit mir treffen wollte.
»Aber inzwischen sind andere Kräfte in die Stadt eingedrungen, und wir können es uns nicht leisten, dass jemand anderes die Kontrolle übernimmt. Wir müssen handeln. Und zwar bald. Ich habe April gebeten, dafür zu sorgen, dass du dich mit mir triffst, damit ich mir selbst ein Bild davon machen kann, wie mutig du wirklich bist.«
Um ein Haar falle ich von der Steinmauer. Das hat April über mich gesagt? Er irrt
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