Die Stadt - Roman
Rest …«
»Ich kann ihr ebenso helfen wie den anderen. Die neue Behandlungsmethode …«
»Ach, du hilfst ihr, indem du sie vögelst?«
»Vivian …«
»Damit ist jetzt Schluss. Endgültig. Wenn nicht …«
»Was dann?«
Die Stimmen wurde leiser, und Benjamin verstand nichts mehr. Der Beobachter in ihm merkte sich alles und begann damit, Pläne zu schmieden.
»Bleib still liegen, Ben«, erklang eine andere Stimme. »Zappel nicht so, um Himmels willen! Sonst kippen wir um.«
Louise hatte sich über ihn gebeugt, die Hände an seinen Oberarmen. Als sie sah, dass er die Augen geöffnet hatte, wich sie langsam zurück, griff nach Rudern und zog sie durchs Wasser. Benjamin begriff, dass sie in einem Boot lagen. Er fühlte sich noch immer schwer und schwach.
Der Mondfleck leuchtete am wolkenlosen Himmel, zum Greifen nahe, und sein Licht spiegelte sich auf dem Fluss wider. Nebelschwaden zogen an den etwa zwanzig Meter entfernten Ufern entlang, und einige Ausläufer tasteten übers dunkle Wasser.
»Ich versuche uns in der Mitte des Flusses zu halten«, sagte Louise, während sie ruderte. »Wir können nur hoffen, dass die Kreaturen schlechte Schwimmer sind und wir die Stadt erreichen, bevor der Nebel zu dicht wird.«
»Ich bin nicht den Baum heruntergeklettert«, krächzte Benjamin und versuchte still zu liegen – er bebte am ganzen Leib.
»Ich hab dich hinuntergebracht.« Louise ruderte langsam, sah dabei immer wieder nach rechts und links zu den Ufern, die in den Nebelschwaden kaum mehr zu sehen waren. »Mit Seilen, so etwas wie ein Flaschenzug. Ich nehme an, der Mann in der Baumhütte hat damit schwere Dinge hochgezogen.«
»Der Mann … in der Hütte?« Das Sprechen fiel Benjamin
sehr schwer. Er lallte wie betrunken; die einzelnen Silben schienen an der Zunge festzukleben. Seine Beine zuckten so heftig, dass das Boot schaukelte.
»Er muss mehrmals gestorben sein«, sagte Louise und ruderte weiter. Ein Knurren kam vom linken Ufer, und etwas Großes bewegte sich dort im trägen grauen Wogen. »Vielleicht ist er verhungert. Oder er war verletzt. Heilungen scheinen hier außerhalb der Stadt noch länger zu dauern. Ben … Was ist mit dir?«
»Ich erinnere mich«, brachte er hervor. Er versuchte den Kopf zu heben, und es gelang ihm auch, aber schon nach wenigen Sekunden wurde er so schwer, dass er ihn wieder sinken ließ. »Ich erinnere mich an mein Leben. Aber etwas stimmt nicht damit. Der Mann in der Hütte … Ist er tot geblieben ?« Benjamin fragte, weil er wollte, dass Louise weiter mit ihm sprach. Ihre Stimme hielt ihn im Hier fest und schützte ihn vor den aus seinem Innern aufsteigenden Bildern.
»Er sah fast aus wie eine Mumie.« Louise zog die Ruder durchs Wasser, und das einzige Geräusch war ein leises Plätschern. Im Nebel zu beiden Seiten des Flusses blieb es still. »Nicht wie die alten aus Ägypten, sondern wie die anderen, die gut erhaltenen. Er lag zusammengekrümmt in einer Ecke und schien darauf zu warten, wieder lebendig zu werden.«
»Was machte er … hier im Sumpf? Wie kam er hierher?« Neues Zittern erfasste ihn, wie das Petit Mal eines epileptischen Anfalls.
Louise schüttelte hilflos den Kopf. »Keine Ahnung. Vielleicht hat er irgendwann einmal die Stadt verlassen, wie auch immer. Im Hospital könnte er bestimmt heilen, aber …« Sie
klang plötzlich traurig, und ihre Trauer weckte die Erinnerungen in Benjamin. »Dieses Boot hat nur für zwei Personen Platz.«
Das Zittern wurde stärker, die Lider schwerer. Benjamin kämpfte gegen den Schlaf an, wenn es Schlaf war. »Was ist … passiert? Der Ballon, er ging in Flammen auf ….«
»Wir sind in die Tiefe gestürzt«, sagte Louise. »Wir hätten beide tot sein müssen. Ich glaube, ich bin nicht gestorben.« Sie zögerte kurz. »Ganz sicher bin ich mir nicht. Als ich zu mir kam, lag ich auf einem weichen Moospolster, nicht weit von der kleinen Insel mit der Baumhütte entfernt. Das Moos war wie ein Kissen. Vielleicht hat es meinen Sturz abgefangen.«
»Aus mehreren Hundert Metern Höhe?«
»Du lagst in der Nähe und warst tot«, fuhr Louise fort. »Ich hab dich zum Baum mit der Hütte gezogen und mit den Seilen nach oben gebracht, als der Nebel kam, und die Kreaturen in ihm.« Sie sah ihn an, und Benjamin bemerkte die Verwunderung in ihrem Gesicht. »Wie ich das geschafft habe, ist mir ein Rätsel.«
Sprich weiter, dachte Benjamin und biss die Zähne zusammen, als Erinnerungsbilder an die Oberfläche seines Bewusstseins
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