Die Stadt - Roman
zweite Knall schien noch lauter zu sein als der erste. Die Kugel traf ein Auge, und das Geschöpf zuckte heftig zusammen. Dann lösten sich die Krallen aus dem Holz, und die Kreatur fiel, verschwand weiter unten im Nebel.
Louise kehrte zu Benjamin zurück. »Auf der anderen Seite hängt ein Boot neben der Hütte, Ben, und es ist nicht weit bis zum Fluss, der durch die Stadt fließt. Glaubst du, du kannst nach unten klettern?«
»Ja«, ächzte Benjamin, aber die Lider wurden erneut so schwer, dass er sie nicht oben halten konnte.
41
Benjamin saß vor dem Schreibtisch, in einem Zimmer, das ihm bereits vertraut geworden war, Townsends Büro, vermutete er. Diesmal hielt nichts seine Arme fest. Der Mann ihm gegenüber schien ihn nicht mehr für gefährlich zu halten, und das war ein Fehler, wusste Benjamin. Was auch immer die blauen Tabletten mit ihm machten oder mit ihm machen sollten, sie richteten nichts gegen den lauernden Beobachter in ihm aus, gegen das Monstrum, das auf eine weitere Chance wartete. Aber es blieb sein Geheimnis. Er verriet es niemandem, nicht einmal der Traurigen, mit der er mehrmals gesprochen hatte. Und erst recht nicht diesem Mann, der böse war, obwohl er sich als Freund gab.
Townsend hob ein Foto, das eine attraktive Frau zeigte: das Gesicht ein helles Oval, umgeben von braunen Locken, ein Mund mit vollen Lippen, große, freundlich blickende Augen.
»Kennen Sie diese Frau?«, fragte Townsend.
»Nein«, sagte Benjamin. »Ich sehe sie jetzt zum ersten Mal.«
»Das ist Kattrin, Ihre Ehefrau.«
»Ich bin nie verheiratet gewesen«, erwiderte Benjamin erstaunt.
»Kattrin wird Teil Ihres neuen Lebens sein.«
»Warum brauche ich ein neues Leben?«
»Ah«, sagte Townsend und lächelte zufrieden. Er hob etwas, das nach einem Formular aussah und Dutzende von Einträgen aufwies.
»Kennen Sie dies?«
»Ich weiß nicht.«
Townsend beugte sich vor, zeigte ihm das Blatt und deutete auf den Namenszug ganz unten. »Sehen Sie? Dies ist Ihre Unterschrift.«
Unbehagen regte sich in Benjamin. »Was habe ich unterschrieben?«
»Dass Sie sich ein neues Leben wünschen.« Townsend lehnte sich wieder zurück, und Zufriedenheit leuchtete in seinen grauen Augen. Er wirkte noch immer freundlich und gutmütig, aber der Beobachter in Benjamin sah das Böse in ihm, das die Traurige so oft zu spüren bekommen hatte. »Ihre alten Erinnerungen sind bereits in den Hintergrund gerückt. Wir ersetzen sie nach und nach durch neue, und dadurch werden Sie ein anderer.«
»Warum?«, fragte Benjamin. »Warum soll ich ein anderer werden?«
Townsend wurde sehr ernst und antwortete, aber Benjamin sah nur, wie sich die Lippen bewegten. Er hörte nicht ein einziges Wort.
Eines Morgens erwachte Benjamin müde und mit schmerzenden Muskeln, und als er in den Spiegel sah, fielen ihm mehrere kahle Stellen am Kopf auf.
Bei anderen Gelegenheiten schmerzten nicht nur die Muskeln. Manchmal erwartete ihn grelles Licht, wenn er die Augen öffnete, und es schien sich ihm in den Schädel zu bohren, bis in die hintersten Winkel, wie auf der Suche nach verborgenen Gedanken und Gefühlen. Lederriemen und Schellen hielten Arme und Beine fest, und schemenhafte Gestalten umringten seinen nackten Leib. Kanülen steckten in den Armbeugen, und Metallplättchen klebten am Kopf.
Wir geben Ihnen ein neues Leben , flüsterten Stimmen, und Benjamin wusste nicht, ob sie außerhalb von ihm erklangen oder tief in seinem Innern, an einem Ort des Schreckens.
Einmal lag er ruhig auf etwas, das nicht sein Bett war, mit einem summenden, klickenden Etwas vor den Augen, das ihm die Sicht nahm. Aus irgendeinem Grund übernahm der Beobachter in ihm die Kontrolle, obwohl er nichts sehen konnte, und er blieb reglos liegen, als schliefe er. Kurz darauf hörte er Stimmen, durch eine Tür gedämpft, aber dennoch scharf und energisch, wie bei einem Streit.
»Du bist wieder bei ihr gewesen.« Eine Frau. »Wie lange treibst du es schon mit ihr?«
»Hör endlich auf damit«, antwortete ein Mann. Townsend.
»Sie ist eine Patientin !«
»Willst du mir vielleicht eine Moralpredigt halten? Ausgerechnet du, Vivian?«
»Ich will, dass es aufhört!«, keifte die Frau. »Sofort. Du wirst nicht noch einmal zu ihr gehen! Du musst ihre Behandlung Robert überlassen.«
»Beruhig dich.«
»Sie ist kein schwerer Fall und gehört überhaupt nicht hierher. Ich habe mir die Akte angesehen. Du hast sie unter einem Vorwand zu uns geholt. Wenn das herauskommt, und auch der
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