Die Stadt - Roman
war dankbar für den zerrissenen Parka, den er noch immer trug und dessen Taschen mehr Platz boten als die der Hose.
Benjamins Hände ertasteten etwas, das sich nach einer Taschenlampe anfühlte, und er fügte den Gegenstand den anderen Objekten in seinen Taschen hinzu. Vor ihm eilte Louise an einem Regal entlang, das offenbar Töpfe enthielt, und als sie sich dahinter nach rechts wandte, erschien eine Gestalt vor ihr.
»Ich liebe solche Zufälle«, sagte Jasmin und richtete ihre beiden Browning auf sie. Neben ihr lag ein Verteidiger mit einem Loch in der Stirn im Gang.
Benjamin wollte sich nach vorn werfen und Louise beiseitestoßen, aber es war bereits zu spät. Die grimmig lächelnde Jasmin, eine dunkle Silhouette im Gleißen, schoss mit beiden Waffen.
Aber die Kugeln erreichten Louise nicht.
Sie schwebten etwa zehn Zentimeter vor den Läufen, wie festgehalten von den Flammen, die aus den Mündungen leckten. Es knallte nicht einmal. Benjamin hörte nur ein dumpfes fernes Grollen, übertönt vom insektenartigen Sirren. Von einem zeitlosen Moment umgeben beobachtete Benjamin, wie die beiden Pistolen in Jasmins Händen transparent wurden, als verwandelte sich Metall in Glas, und dann verschwanden sie. Das Glühen der Mündungsflammen verlor sich im weißen Strahlen, das auch die Regale des Supermarkts aufzulösen begann, und die beiden Kugeln, nicht mehr vom Feuer festgehalten, fielen zu Boden, aber so langsam, als hätte sich die Luft in zähen Brei verwandelt. Auf dem Weg nach unten verloren sie immer mehr Substanz, und nur noch zwei Stäubchen waren von ihnen übrig, als sie den Boden erreichten.
Der Moment dehnte sich wie ein Gummiband.
Überall im Supermarkt verschwanden die Waffen. Benjamin sah es durch die Regale, die dort gläserne Transparenz gewannen, wo er den Blick auf sie richtete. Sonja brauchte nicht mehr zu überlegen, ob sie von ihrer Panzerfaust Gebrauch machen sollte oder nicht, denn plötzlich waren ihre Hände leer. Dagos Zeigefinger war um einen nicht mehr existierenden Abzug gekrümmt und sein lachendes Gesicht zu einer Fratze geworden. Angreifer und Verteidiger, Streuner und Mitglieder der Gemeinschaft, sie alle waren erstarrt und plötzlich ohne Waffen. Selbst die Armbrüste verschwanden.
Es betraf nicht nur die Männer und Frauen im Supermarkt. Auch draußen hatte der Kampf plötzlich aufgehört, denn es
gab nichts mehr, womit Dagos und Hannibals Leute schießen konnten. Das weiße Gleißen drang durch die zerstörte Fensterfront des Supermarkts, schluckte das Licht der Lampen auf dem Parkplatz, strahlte bis zu den Gebäuden am Rand der weiten Asphaltfläche und kroch dort durch Türen und Fenster.
Die Nacht wich zurück. Sie floh vor dem Leuchten, das aus dem Supermarkt kam und heller wurde als jemals zuvor. In weiter entfernten Teilen der Stadt krallte sich die Dunkelheit in Straßen und Gassen fest, in leeren Zimmern hinter schmutzigen Fensterscheiben und in muffigen Kellern, aber selbst dort machte sich das Gleißen bemerkbar. Ein Glitzern wie von Feenstaub lag in der Luft, suchte und funkelte überall dort etwas stärker, wo es Waffen fand, von Zwillen und Armbrüsten bis hin zu Maschinenpistolen – alles verschwand.
In den oberen beiden Räumen des Arsenals tastete das Funkeln über Haken und Halterungen, und es hinterließ leere Regale. Es kroch die Wendeltreppe hinunter, die völlig ohne Rost war, breitete sich in dem schier endlosen Saal aus und ließ auch dort die Waffen verschwinden, die alten ebenso wie die modernen und futuristischen. Der Saal, dessen Inhalt ausgereicht hätte, die Armeen einer ganzen Welt auszurüsten, leerte sich, als ginge eine Flutwelle des Nichts durch ihn, und als schließlich keine einzige Waffe mehr in den zahllosen Fächern ruhte, zog sich das Glitzern zurück, und die Nacht verschlang den Saal und seine Regalwände.
Am Rand der Stadt, im Nebel, der durch die Straßen zu wogen begann, hoben die Kreaturen ihre schuppigen, hornigen Köpfe und knurrten. Sie schienen die Veränderung zu spüren, und freudige Unruhe erfasste sie, als sie dem Nebel
folgten. Ihre Krallen und Klauen kratzten über rissigen Asphalt und hinterließen Furchen in altem, sprödem Beton.
All das sah und hörte Benjamin, mit wie in die Ferne geworfenen Augen und Ohren. Dann schnellte das metaphorische Gummiband des gedehnten Moments zurück, mit einem Geräusch, das fast wie ein Quietschen klang.
»Was zum Teufel …«, zischte Jasmin verblüfft, als sie merkte, dass
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