Die Stadt - Roman
beruhigend«, sagte Louise voller Sarkasmus und sah sich um.
Benjamin schwenkte die Lampe, und an der Wand des Ganges fiel ihr Licht auf einen aus schnörkeligen Zeichen bestehenden Schriftzug. Als er sich darauf konzentrierte, veränderten sich die Schriftzeichen. Ausgang, las er in Gedanken und fragte sich, wohin dieser Ausgang einst geführt hatte. Nach oben in die Stadt? Aber er entsann sich nicht daran, irgendwo in der Stadt Treppen gesehen zu haben, die zu einer U-Bahn-Station hinabführten.
Hinter ihnen platschte es erneut beim Schuttwall. Benjamin deutete nach vorn, in die Dunkelheit jenseits des Bahnsteigs. »Gehen wir.«
Am Ende der Plattform angelangt sprangen sie aufs Gleisbett und gingen auf dem Schotter zwischen den Schienen. Das Licht der Taschenlampe wurde mal schwächer, mal stärker, und schließlich schaltete Benjamin sie aus und zündete die aus dem Supermarkt stammende Kerze an, deren Flamme kurzlebige Schatten über die Wände tanzen ließ.
Nach etwa hundert Metern mündete der Tunnel mit den Schienen in einen Saal, so groß, dass der Kerzenschein nicht bis zur gegenüberliegenden Wand reichte. In der Mitte ragte etwas auf, ein regloser, dunkler Koloss.
Benjamin begann zu ahnen, womit sie es zu tun hatten, als er links und rechts weitere Gleise sah. Langsam näherte er sich dem finsteren Riesen vor ihnen, und nach und nach holte das Licht der Kerze Einzelheiten aus der Dunkelheit. Eine Lokomotive stand dort vor ihnen, auf einer großen Drehscheibe, die es erlaubte, den U-Bahn-Verkehr in verschiedene Tunnel zu leiten. Und jemand hatte mit gelber Farbe »Emma« an ihre Seite geschrieben.
»Emma«, sagte Benjamin laut und lächelte unwillkürlich. »Jim Knopf.«
Louise sah ihn verwirrt an. »Was?«
»Hast du nie was von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer gehört? Ihre Lok hieß Emma. Als Kind war ich begeistert davon. Ich habe alle Bücher von Michael Ende gelesen. Hab sie regelrecht verschlungen.«
Louise schüttelte den Kopf und sah an der Lokomotive hoch. Benjamin kletterte in den Führerstand und gab dabei auf die Kerze Acht. Er sah sich kurz die Instrumente an, kehrte dann zurück. »Die Emma von Lukas und Jim Knopf war natürlich eine Dampflok. Dies Ding hier … Ich kenne
mich nicht mit Lokomotiven aus, aber ich nehme an, dass es eine elektrische Lok ist. Wer weiß, ob es hier unten während einer Elektrostunde in der Stadt Strom gibt. Wäre es nicht schön, wenn wir mit einer Lok durchs Labyrinth fahren könnten, bis zur nächsten Stadt?«
»Falls die Tunnel so weit reichen«, sagte Louise. »Und falls sie überhaupt aus der Stadt führen.«
»Das werden wir bald herausfinden. Route siebzehn. Suchen wir sie.«
Sie gingen an der Lok vorbei zum nächsten Tunnel, über dem ein Schild an der Wand hing. Es war halb verrostet, die Aufschrift aber noch erkennbar: 7.
»Die Tunnel sind nummeriert«, sagte Benjamin. »Suchen wir die 17.«
Das Schild über dem nächsten U-Bahn-Tunnel zeigte eine 8 und darunter einen Namen, der sich nicht mehr entziffern ließ. Benjamin und Louise gingen weiter und trugen dabei das flackernde Licht der Kerze durch den Saal. Schließlich erreichten sie den sechzehnten Tunnel, und der daneben trug die Nummer eins.
»Es sind nur sechzehn«, sagte Louise. »Die Route siebzehn existiert überhaupt nicht.«
»Das kann nicht sein. Wir müssen etwas übersehen haben. Hier, halt die Kerze.« Benjamin holte die Taschenlampe hervor, trat von der Drehscheibe herunter und ging zum nächsten Tunnel. Von seiner Öffnung aus wanderte er an der Wand entlang, leuchtete mit der Taschenlampe und hielt nach irgendwelchen Hinweisen Ausschau, während Louise mit der Kerze bei der Elektrolok wartete. Zwischen den Tunneln dreizehn und vierzehn entdeckte er eine kleine Metalltür,
im gleichen Grau wie die Betonwand – vielleicht hatte er sie deshalb im schwachen Kerzenschein übersehen. Als er sie öffnete, fand er ein Loch im Boden, und darin die rostigen Sprossen einer Leiter. Er leuchtete in die Öffnung, doch ein Ende des Schachtes war nicht zu erkennen.
Neben die Metalltür hatte jemand eine »17« in den Beton gekratzt, zu erkennen nur, wenn er mit der Taschenlampe von der Seite leuchtete.
Dies wird Louise nicht gefallen, dachte Benjamin und rief: »Ich habe die Route siebzehn gefunden!«
Route siebzehn
51
»Das gefällt mir nicht«, sagte Louise zum dritten oder vierten Mal. »Hätte ich mich nur nicht auf diesen Blödsinn eingelassen, verdammt!«
»Was
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