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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Tunnelöffnung sahen sie nur einen Ausschnitt davon, doch das Licht reichte bis zum anderen Ufer, zu den Schienen, die dort aus dem Wasser kamen und an einem Bahnsteig aus Beton entlangführten. Sie konnten trockenen Fußes zur anderen Seite gelangen, das hatte Benjamin bereits herausgefunden; der Uferstreifen war überall breit genug. »Aber sie können nicht wissen, wie lang er ist. Auch für sie ist er völlig finster.«
    »Es sei denn, sie haben wasserdichte Lampen.« Louise stellte die leere Büchse beiseite. »Und vielleicht wissen sie vom See und dem Tunnel. Immerhin waren sie hier unten und haben Mauern errichtet.«

    Benjamin seufzte. »Kannst du nicht einmal ein bisschen optimistischer sein?«
    »Optimismus ist Blödsinn, Ben. Im Leben, und offenbar auch im Tod, kommt es auf Realismus an. Man muss die Dinge so sehen, wie sie sind.«
    »Wir sind einen Schritt weiter«, sagte Benjamin. »Wir haben zu essen und bald wieder trockene Sachen. Ist das nichts?«
    Louise zuckte die Schultern, wodurch sich ihre Brüste auf reizvolle Weise bewegten.
    Benjamin, nur mit einem Slip bekleidet, stand auf. »Ich sehe mir nochmal die Rucksäcke an. Pass du auf, dass unsere Sachen nichts ins Feuer fallen.«
    Die vier Rucksäcke lagen an einer besonders breiten Stelle des Ufers, neben mehreren verbogenen Stangen und einer zerrissenen Plane. Dahinter, vor einer kleinen Nische in der Felswand, sah Benjamin die Reste von zwei Schlafsäcken, wie von großen Messern zerfetzt. Oder von Krallen, dachte er und spürte, wie sich Unbehagen in ihm regte.
    Als er damit begann, noch einmal den Inhalt der Rucksäcke durchzugehen, hörte er plötzlich ein Blubbern und Platschen, das vom Schuttwall kam, der die beiden Höhlen und Seen voneinander trennte. Dicht davor stiegen Luftblasen auf.
    Benjamin nahm zwei Rucksäcke und eilte damit zu Louise zurück.
    »Was ist los?«, fragte sie, als sie sein Gesicht sah. In der einen Hand hielt sie eine Dose Aprikosen.
    »Ich hab was gehört.« Benjamin griff nach Hemd und Hose. Sie waren noch nicht trocken, aber auch nicht mehr
ganz so nass wie vorher. Als er Louises erschrockenen Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Ich fürchte, Hannibal und seine Leute sind unterwegs. Vor dem Schuttwall sind Luftblasen aufgestiegen.«
    Er zog den Parka an und warf sich dann einen Rucksack über die Schultern. Louise stopfte sich hastig den Rest des Doseninhalts in den Mund und streifte dann ihre feuchte Kleidung über. Die Lederjacke war in einem erbärmlichen Zustand, ebenso wie Benjamins Parka, aber sie wollte nicht darauf verzichten und ließ die drei noch auf dem Boden stehenden Konserven in ihren Taschen verschwinden. Benjamin vergewisserte sich, dass er die Feuerzeuge eingesteckt hatte, und trat dann das Feuer aus.
    Es wurde dunkel.
    Wie zuvor gab die Taschenlampe nur wenig Licht – sie sahen die Wände zu beiden Seiten und die Tunnelöffnung weiter vorn, mehr nicht. Der See lag in Finsternis, ebenso die Gleise und der Bahnsteig auf der anderen Seite. Als sie das Ufer erreichten, platschte es rechts, aus der Richtung des Schuttwalls, und in der Dunkelheit wirkte das Geräusch so laut, dass Louise zusammenzuckte.
    Sie wandten sich nach links und folgten dem Verlauf des schmalen Uferstreifens am See entlang. Der Boden war nicht überall eben und bestand teilweise aus losem Geröll, das unter ihnen in Bewegung geriet. Sie hielten sich an den Händen, und schließlich erreichten sie die Schienen und den Bahnsteig daneben. Das Platschen hatte inzwischen aufgehört ; es herrschte wieder völlige Stille.
    »Vielleicht war es nur aufsteigendes Gas«, flüsterte Louise hoffnungsvoll.

    Sie kletterten auf den Bahnsteig, der so sauber war, als hätte man ihn gerade gefegt. Weiter vorn standen Sitzbänke mit abblätterndem Lack, und dahinter hing eine Uhr ohne Zeiger an der Decke. Ein Gang führte dort nach rechts, endete aber schon nach wenigen Metern an einer Betonwand.
    »Vielleicht gab es hier einmal einen Weg nach oben«, sagte Louise leise.
    Benjamin trat nahe an die Betonwand heran und leuchtete mit der Lampe. »Sieh dir das hier an.«
    Louise strich mit den Fingerspitzen über die Wand. »Linien ?«
    »Es sind keine Linien, sondern …«
    »Kratzer.« Louise wich zurück. »Von Krallen.«
    »Ja, so sieht’s aus. Vielleicht hat das Etwas auch versucht, diese Barriere zu durchbrechen, aber sie besteht nicht aus Ziegelsteinen. Offenbar reichte seine Kraft nicht aus, Beton zu durchstoßen.«
    »Das finde ich sehr

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