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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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antwortete Townsend bereitwillig. »Und weil ich beweisen möchte, dass es wirklich möglich ist, die Psyche ganz neu zu konstruieren. Ich habe in Ihrem Kopf ein Haus gebaut, Benjamin, ein neues Haus, in dem Sie fortan wohnen können. Zusammen mit Kattrin.«
    »Ein Haus in meinem Kopf?«, wiederholte Benjamin und trat noch einen Schritt näher. Er spürte die Wärme des Feuers und wusste, dass es nur ein Vorgeschmack war. »Mit Backsteinen, die ebenso viel Substanz haben wie Gedanken? Und darin soll ich mit einer Frau wohnen, die gar nicht existiert?«
    Townsend war so sehr in seine Träumereien von Erfolg und Ruhm versunken, dass es einige Sekunden dauerte, bis er Verdacht schöpfte. Und als das geschah, war es bereits zu spät für ihn. Eigentlich war sein Schicksal in dem Augenblick besiegelt gewesen, als sie seinen privaten Salon betreten hatten, der von keiner Überwachungskamera erfasst wurde, aber während jener ersten Momente in diesem Raum hatte er noch eine Chance gehabt. Doch jetzt lag das kleine Gerät, mit dem der Institutleiter selbst hier einen Alarm auslösen konnte, auf der Ablage neben der Tür, unerreichbar für ihn. Er war bereits tot; er wusste es nur noch nicht.
    »Haben Sie gerade gesagt, dass Kattrin gar nicht existiert?«,
fragte Townsend und sah an Benjamin vorbei zur Tür. Der Weg war versperrt.
    Im Kamin knackte und knisterte das Feuer. Flammen züngelten, und Benjamin stellte sich vor, dass sie Bescheid wussten und auf ihre größeren Brüder und Schwestern warteten.
    »Warum haben Sie es getan?«, fragte Benjamin und machte noch einen Schritt, der ihn direkt vor Townsend brachte. Der Mann erschien ihm plötzlich klein, geradezu winzig. Vielleicht lag es daran, dass er selbst gewachsen war: Der andere Benjamin in seinem Innern, der bisher alles beobachtet und manchmal wütend die Zähne gefletscht hatte, dehnte sich aus, und mit ihm kamen alle Erinnerungen.
    »Warum ich Ihnen geholfen habe? Ich bin Arzt, Benjamin, und Ihr Freund.« Er versuchte an ihm vorbeizugelangen, aber Benjamin trat zur Seite und versperrte ihm erneut den Weg.
    »Warum haben Sie die Traurige missbraucht und in den Tod getrieben?«
    »Die Traurige?«
    »Françoise.«
    Die Farbe wich aus Townsends Gesicht. »Ich habe nicht … Ich meine … Wer sind Sie, Benjamin? Wer spricht da?«
    »Ich heiße Benjamin Harthman, und ich bin nicht verheiratet. Kattrin existiert nicht.«
    José Maria Townsend öffnete den Mund, vielleicht um zu schreien, um Hilfe zu rufen oder zu fluchen. Aber welche Worte auch immer er artikulieren wollte, sie blieben ihm im Hals stecken, als Benjamin in einer blitzartigen Bewegung die Garrotte aus der Tasche riss und Townsend den Draht um die Kehle schlang.

    Der Mann, der so sehr einem freundlichen Professor ähnelte und doch, wie Benjamin wusste, durch und durch verdorben war, reagierte erstaunlich schnell. Das Entsetzen in seinen Augen war noch nicht richtig aufgeleuchtet, als er schon die Hände gehoben hatte; und er schaffte es, Zeige-und Mittelfinger der rechten Hand hinter den Draht zu schieben, der sich ihm um den Hals schlang. Es nützte ihm nichts und verlängerte seinen Todeskampf nur um einige Sekunden. Während ihm die Augen, jetzt voller Schrecken, aus den Höhlen quollen, genauso wie die Zunge aus dem Mund, zuckte die freie Hand durch die Luft, fand Benjamins Gesicht und kratzte. Benjamin kniff die Augen zu und zog den Draht noch enger, hörte das Röcheln des Sterbenden – wie fühlte er sich jetzt, der Mann, der eben noch von Ruhm geträumt hatte ? – und spürte sein Zittern und Beben. Schließlich fiel die Hand von Benjamins Gesicht, und der Körper erschlaffte. Benjamin öffnete die Augen und ließ Townsend zu Boden sinken, ohne die aus zwei Holzstücken und einem Draht improvisierte Garrotte zu lockern. Manchmal stellten sich die Opfer tot, obwohl in Wirklichkeit noch genug Leben in ihnen steckte, um Widerstand zu leisten.
    Aber der Leiter des Instituts regte sich auch nicht mehr, als Benjamin den Draht schließlich lockerte und dann ganz vom Hals löste. Zurück blieb ein dunkler Kranz am Hals, aus dem an einigen Stellen Blut sickerte. Die Augen, groß und das Weiße blutunterlaufen, starrten ins Leere.
    Benjamin sah auf den Toten hinab und empfand so etwas wie grimmige Befriedigung. Das Knistern des Feuers im Kamin, das Licht der züngelnden Flammen, das Prasseln des Regens am breiten Fenster und die Blitze, die in der Ferne
aus dunklen Wolken zuckten – das alles vereinte

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