Die Stadt - Roman
ächzte der Mann auf dem Bett, würgte, drehte den Kopf zur Seite und spuckte in eine bereitstehende Schüssel. Es roch nach einer Mischung aus Erbrochenem und Alkohol, urteilte Benjamins Nase.
»Das Gegenteil ist der Fall, mein Lieber«, sagte die Frau. »Du wirst wieder lebendig. Und meine Medizin hilft dir dabei. Möchtest du noch einen Schluck?«
»Wenn’s unbedingt sein muss …«
Die Frau lachte leise, zog eine Flasche aus der Tasche, die sie an ihren Stuhl gehängt hatte, und gab etwas von ihrem Inhalt in eine Tasse. Dann stützte sie mit einer Hand den Kopf des vom Tod Zurückgekehrten und setzte ihm mit der anderen die Tasse an die Lippen.
»Das ist Emily«, sagte Hannibal mit gesenkter Stimme. »Man nennt sie auch die ›Apothekerin‹.«
»Ich habe schon von ihr gehört«, erwiderte Benjamin ebenso leise.
»Hoffentlich nur Gutes.« Emily hob die Flasche. »Möchten die Herren meine neueste Kreation probieren? Siebzehn Kräuter von den drei grünen Inseln der Stadt. Jede Menge Gesundheit. Holt Tote ins Leben zurück. Hier ist der Beweis«, sagte sie, deutete auf Velazquez und nahm selbst einen großzügigen Schluck. »Es geht dir doch schon viel besser, Velaz, nicht wahr?« Sie tätschelte ihm die Wange, und er stöhnte laut.
Hannibal trat zum Bett. »Was ist mit der Kugel?«
»Hier. Hab sie ihm aus der Nase gezogen.« Emily zeigte ihm einen kleinen Bleiklumpen, der dem ähnelte, der aus Benjamins Wunde gekommen war. »Kleiner Scherz«, fügte sie hinzu, als sie Hannibals Miene sah. »Ich hätte ziemlich tief bohren müssen, um ihm das Ding aus der Nase zu ziehen, und das hätte ihm wohl kaum gefallen. Stimmt’s, Velaz? « Sie hob die Flasche und trank erneut.
»Emily …«, begann Hannibal in einem mahnenden Ton.
»Reg dich nicht auf, Hanni. Denk an deinen Blutdruck. In deinem Alter muss man auf so was achten. Sonst brauchst auch du bald meine Medizin.«
Hannibal seufzte. »Ich bin kaum älter als du, Emily.«
»Ich bin seit fünfzehn Jahren in der Stadt, Hanni, und du seit fast achtzig. Also bin ich sechsundsiebzig, und du gehst auf die hundertfünfzig zu.«
»Könntet ihr vielleicht etwas leiser sein?«, stöhnte Velazquez. »Und dass niemand auf die Idee kommt, die Vorhänge aufzuziehen. Das Licht tut weh.« Er blinzelte. »Bist du das, Benjamin?«
»Ja.« Er näherte sich dem Bett. Inzwischen hatten sich seine Augen ans Halbdunkel gewöhnt, und er sah, wie blass Velazquez war. »Wie geht es dir?«
»Verdammt mies, Mann. Ich rate niemandem, ein zweites Mal zu sterben. Ich …« Velazquez unterbrach sich, und die schwache Farbe, die in seine Wangen zurückgekehrt war, verschwand wieder. Hastig drehte er sich zur Seite, würgte und erbrach das, was er eben getrunken hatte, in die Schüssel.
Benjamin sah sich im Zimmer um. Auf der gegenüberliegenden
Seite stand ein alter Röhrenfernseher auf einer Kommode, neben einer Vase mit staubigen Plastikblumen. Links neben dem Bett gab es eine Waschnische mit einem Becken, in das Emily gerade die Schüssel entleerte. Ein Tropf fehlte ebenso wie medizinische Geräte, die den Zustand des Patienten überwachten. Velazquez schien, von Emilys Medizin einmal abgesehen, ohne fremde Hilfe genesen zu sein. Aber wenn keine Behandlung erforderlich war, und Benjamin konnte sich an keine erinnern, was ihn selbst betraf … Warum brachte man die Verwundeten und Toten dann ins Hospital? Hätten sie nicht in ihren Zimmern im Gloria auf Heilung und Rückkehr ins Leben warten können?
Die Tür öffnete sich, und Abigale sah herein. »Entschuldigt bitte die Störung, aber … Hannibal, ein Gesandter der Streuner ist eingetroffen. Dago schlägt einen Austausch vor. Er hat zwei von unseren Leuten.«
Hannibal nickte und verabschiedete sich mit einem »Wir sehen uns später«, das nicht nur Benjamin galt, sondern auch Velazquez und Emily. Als er gegangen war, krümmte sich der schmächtige Mann im Bett zusammen und fluchte leise. »Verdammt, verdammt!«, flüsterte er, das Gesicht eine Grimasse. »Es zerreißt mir die Eingeweide.«
»Wenn du die Medizin immer wieder ausspuckst, können dir die Kräuter nicht helfen«, sagte Emily und gab ihm erneut zu trinken. Dann ließ sie die Flasche in ihrer Tasche verschwinden und stand auf, nachdem sie Velazquez ein letztes Mal die schweißfeuchte Wange getätschelt hatte. »Ich mache meine Runde, Velaz. Es gibt hier noch einige andere, die Medizin brauchen. Kopf hoch. Du hast es bald überstanden, und dann bist du wie
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