Die Stadt - Roman
Gemeinschaft zueinander standen. Bildeten sie ein Paar? »Du kennst sicher die Geschichte vom Vogel Strauß, oder?«
»Abi…«
»Wenn man die Augen schließt, verschwindet die Welt, aber es ist ein nur scheinbares Verschwinden. Sie existiert nach wie vor. Selbst wenn wir das Labyrinth ignorieren … Es existiert trotzdem, direkt unter unseren Füßen. Und etwas, das fähig ist, die dicken Mauern einzureißen, die deine Leute
vor fast sechzig Jahren errichtet haben, könnte irgendwann den Ausgang finden und zu uns kommen , ob uns das gefällt oder nicht. Wir müssen herausfinden, was es ist. Das verlangt unsere Verantwortung für die Gemeinschaft.«
»Schöne Worte, Abigale. In Wirklichkeit möchtest du nur dort unten herumschnüffeln.«
»Neugier ist weder Vermessenheit noch Sünde. Wenn du das glaubst, irrst du dich gewaltig, mein Lieber.« Bei diesen Worten war Abigales Stimme erstaunlich hart. »Die Vorsehung, von der du so oft sprichst, hat uns einen Verstand gegeben, damit wir ihn benutzen.«
»Was niemand infrage stellt. Aber wenn wir ihn dazu verwenden, nach einem Weg aus der Stadt zu suchen, entziehen wir uns dem Sinn unserer hiesigen Existenz. Die Hybris des einen kann die endgültige Verdammnis aller sein. Wenn wir – und damit meine ich uns alle – diesen Limbus verlassen und das Paradies erreichen wollen, dürfen wir nicht zulassen, dass sich die Waage in die andere Richtung neigt. Jedes Risiko muss vermieden werden.«
»Auch auf die Gefahr hin, nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können? Und was ist, wenn wir uns irren ?«
»Abigale!«
»Hast du nie daran gedacht? An die Möglichkeit, dass wir falschliegen und eine der anderen Theorien stimmt? Vielleicht hat Kowalski mit seinen Quantensignaturen Recht. Vielleicht hat ein Atomkrieg stattgefunden, und wir sind verstrahlte Seelen mit der Illusion, zwischen Himmel und Hölle wählen zu können. Oder wir befinden uns tatsächlich hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, das in
Genf entstand und die ganze Erde verschlang, wie Emily glaubt.«
»Emily trinkt zu viel.«
»Zweifellos. Und Kowalski ist verrückt. Aber auch Alkoholiker und Übergeschnappte haben lichte Momente. Wir können nicht sicher sein, Hannibal. Wir beide glauben, dass wir mit unserer Theorie vom Limbus Recht haben, und wir richten unser Handeln danach aus, aber Glaube allein genügt nicht. Wir könnten uns irren.«
»Das grenzt an Blasphemie!«
»Ach, Hannibal, du bist zu streng. Dir selbst und auch den anderen gegenüber. Warum sollten wir uns damit begnügen zu glauben, wenn wir die Möglichkeit haben, mehr herauszufinden? Warum die Augen vor dem Offensichtlichen verschließen und darauf verzichten, Fragen zu stellen? Jemand hat diese Stadt erbaut. Zu welchem Zweck? Warum ist sie größtenteils leer? Warum haben wir in einigen Gebäuden Hinweise darauf gefunden, dass sich frühere Bewohner verbarrikadiert haben? Wir wissen , dass es vor uns Menschen hier gab, noch vor Laurentius. Was ist aus ihnen geworden? Haben sie einen Weg aus der Stadt gefunden, an den Kreaturen im Nebel vorbei?«
Ein Weg aus der Stadt, dachte Benjamin und spürte ein Kribbeln.
»Vielleicht gelang es ihnen nicht, genug Positivität zu sammeln, damit sich die Waage in Richtung Paradies neigte«, sagte Hannibal streng. »Vielleicht öffneten sich die Pforten der Hölle für sie.«
»Oder sie benutzten ihren Verstand, verließen die Stadt und fanden zum Garten Eden.«
»Vielleicht besteht die Prüfung – oder eine der Prüfungen – genau darin, Abigale. Vielleicht hat man uns hierher-gebracht, um zu sehen, ob wir der Neugier widerstehen und diesmal nicht die verbotene Frucht pflücken.« Hannibal schnaufte. »Nein, Abi, es wird keine weitere Expedition geben. Wenn wir dies alles hinter uns haben, wenn wieder Ruhe einkehrt, werde ich den Zugang zum Labyrinth vermauern lassen.«
»Dann wäre unsere Chance dahin, mehr herauszufinden«, sagte Abigale, und Benjamin glaubte, Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme zu hören. »Petrow hat die Route siebzehn als vielversprechend bezeichnet. Sie könnte tatsächlich aus der Stadt führen.«
»Ich habe meine Entscheidung getroffen.«
»Ich dachte, wir treffen die Entscheidungen gemeinsam, Hannibal.«
»Ich habe dir einmal nachgegeben, mit dem Ergebnis, dass wir Lindsay verloren haben. Rinehard wird sich erholen, aber Lindsay bekommen wir nicht zurück, und du weißt, wie sehr sie immer bemüht war, Gutes zu tun. Sie wird uns
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