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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sinnierte Dhatt.
    »Manipuliert. Gekauft.«
    »Meinetwegen. Nur mal angenommen.«
    Der mit halblauter Stimme geführte Austausch wurde begleitet von dem externen Kreischen eines Blechschilds in Besźel, das über unseren Köpfen vom Nachtwind hin und her gestoßen wurde. »Nach Yolandas Überzeugung ist Ahndung identisch mit Orciny«, sagte ich. »Auch wenn ich nicht notwendigerweise derselben Überzeugung bin, ich habe ihr versprochen, dass ich sie außer Landes bringe.«
    »Das würde Ahndung auch erledigen.«
    »Würden Sie die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie nicht recht hat? Würden Sie die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie von Ahndung nichts zu befürchten hat?« Ich dämpfte meine Stimme noch mehr. Dieses Gespräch konnte uns Kopf und Kragen kosten. »Bis jetzt hat Ahndung noch keine Handhabe - kein wie auch immer gearteter Grenzbruch hat stattgefunden. Yolanda möchte, dass es so bleibt.«
    »Wie stellen Sie sich das Weitere vor?«
    »Ich will sie von hier wegbringen. Ich behaupte nicht, dass sie hier in Gefahr schwebt, ich behaupte nicht, dass alles stimmt, was sie sagt, aber jemand hat Mahalia ermordet und Bowden bedroht. Etwas ist faul im Staate Ul Qoma. Ich bitte Sie um Ihre Hilfe, Dhatt. Kommen Sie mit mir. Wir können nicht offiziell die Ausreise beantragen - Feind hört mit. Ich habe Yolanda versprochen, auf sie aufzupassen, aber ich bin hier selbst auf Hilfe angewiesen. Auf Ihre Hilfe, genauer gesagt. Wir dürfen nicht riskieren, diese Aktion regulär über die Bühne zu bringen. Also, Ihre Entscheidung? Ich muss sie nach Besźel hinüberschleusen.«
    Weder kehrte ich in dieser Nacht in mein Hotelzimmer zurück noch Dhatt in seine Wohnung. Nicht, dass wir so große Angst gehabt hätten, wir ließen Angst zu, benahmen uns als ob: als ob das alles wahr wäre. Wir spazierten durch die Straßen.
    »Verdammt noch mal, ich kann nicht glauben, dass ich das tue«, sagte er immer wieder. Schaute öfter über die Schulter als ich.
    »Wir finden einen Dreh, um mir die Schuld in die Schuhe zu schieben«, sagte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich ihn notgedrungen ins Vertrauen zog - dass er sich vorbehaltlos auf meine Seite stellen würde, sich derart exponierte.
    Dhatt sorgte dafür, dass wir uns auf belebten Straßen bewegten und auf deckungsgleichen. Viele Menschen, und Orte, wo die beiden Städte sich besonders nahe sind, begünstigen Interferenzmuster, die schwerer zu lesen oder vorherzusehen sind. Unter solchen Umständen wirkt mehr als die Summe der Teile, sozusagen, das ist elementare urbane Arithmetik.
    »Mit meinem Visum kann ich jederzeit ausreisen«, sagte ich. »Können Sie ihr Papiere besorgen, die sie berechtigen, Besźel zu besuchen?«
    »Für mich jederzeit. Und für jeden anderen im Polizeidienst.«
    »Anders gefragt: Können Sie ein Ausreisevisum für die Polizistin Yolanda Rodriguez beschaffen?«
    Er starrte mich an. »Sie besitzt nicht mal einen qomanischen Pass ...«
    »Aber können Sie sie rüberschleusen, halbwegs legal? Ich habe keine Ahnung, wie scharf eure Grenzschützer sind.«
    »Gottverdammt noch mal«, stieß er hervor. Es war spät geworden, die Menschen verliefen sich, und je mehr die Straßen sich leerten, desto unglaubwürdiger, desto auffälliger wurden wir als unermüdliche Spaziergänger. »Ich weiß wohin«, sagte Dhatt. Das Wohin war eine Kellerkneipe gegenüber einer Bank am Rand von Ul Qomas Altstadt, deren Wirt ihn mit fast überzeugender Freude begrüßte. Der Raum war voller Qualm und Männer, die Dhatt beäugten und sofort wussten, wen sie vor sich hatten, trotz seiner Zivilkleidung. Einen Moment lang sah es aus, als glaubten sie, er sei gekommen, um ihre Transvestiten-Show platzen zu lassen, doch er winkte ab: Lasst euch nicht stören. Dann zeigte er auf das Telefon hinter der Theke, das der Wirt ihm mit schmalen Lippen reichte. Dhatt gab es an mich weiter.
    »Also gut, wir ziehen das durch«, sagte er. »Ich kann Yolanda helfen, über die Grenze zu kommen.« Die Musik und auch das Stimmengewirr waren ohrenbetäubend. Ich nahm die volle Länge der Schnur in Anspruch und hockte mich mit dem Apparat am Tresen hin, auf Gürtelhöhe mit den Umstehenden. Es kam mir vor, als wäre der Lärm hier unten weniger schlimm. Ich musste das Gespräch von der Auslandsvermittlung herstellen lassen. Gefiel mir nicht, aber es ging nicht anders.
    »Corwi, hier ist Borlú.«
    »Chef! Heiliger Strohsack, geben Sie mir einen Moment. Ich muss erst zu mir

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