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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wie in einer Kneifzange zwischen den Fingerspitzen hielt.
    »Gottverdammt. Jemand versucht ... Sir, das ist lachhaft. Wir müssen Ahndung ersuchen. Nur dort verfügt man über die Möglichkeiten ... Wie soll ich in dieser Scheiße vorankommen? Ich bin ein gewöhnlicher Bulle, weiter nichts. Irgendwas ist hier ganz gewaltig faul.«
    »Piano, piano, Borlú. Wie schon gesagt, die Herrschaften sind nicht verpflichtet, ihre Entscheidung zu begründen, jedoch unserem höflichen Unverständnis vorausgreifend, haben sie wahrhaftig eine Notiz beigefügt und eine Anlage. Diesem arroganten kleinen Missiv zufolge lag es nicht an Ihrer Präsentation des Falls. Sie dürfen sich mit der Gewissheit trösten, dass Sie das hohe Haus bei aller Tollpatschigkeit mehr oder weniger überzeugen konnten, dass es sich um Grenzbruch handelt. Jedoch im Zuge ihrer, schreiben sie, ›routinemäßigen Nachforschungen‹« - Gadlems pantomimische Gänsefüßchen sahen aus wie Vogelkrallen -»kamen neue Informationen ans Licht. Hier.«
    Er nahm etwas von seinem Schreibtisch und warf es mir zu. Eine Videokassette. Mit einem Wink schickte er mich zu dem Fernseher mit eingebautem Videorekorder in der Ecke seines Büros. Die Bilder erwachten flackernd zum Leben, armselige, sepiafarbene und verrauschte Aufnahmen. Kein Ton. Autos tuckerten in stetigem Strom diagonal über den Bildschirm, oberhalb von Datum und Uhrzeit, zwischen Pfeilern und Gebäudemauern.
    »Was ist das?« Ich rechnete die Tage zurück und kam auf die frühen Morgenstunden der Nacht, bevor Mahalia Gearys Leichnam gefunden wurde. »Was ist das?«
    Die wenigen Fahrzeuge beschleunigten ruckhaft, krabbelten in hektischer Eile über den Schirm. Gadlem wedelte gereizt mit der ausgestreckten Hand, dirigierte den schnellen Vorlauf mit der Fernbedienung wie mit einem Taktstock. Bandminuten schnurrten vorüber.
    »Wo ist das? Dieser Film ist beschissen.«
    »Er ist um einiges weniger beschissen, als wenn es unserer wäre, und das ist überhaupt der höhere Sinn dieser Vorführung. Aha, da wären wir.« Er schaltete den Vorlauf aus. »Tiefe Nacht. Wo wir sind, Borlú? Schauen Sie genau hin, Inspektor. Achten Sie auf das, was von rechts kommt.«
    Ein roter Wagen fuhr vorbei, ein grauer, ein klappriger LKW, dann - »Hallo! Voilà!«, intonierte Gadlem sonor - ein schmutziger weißer Lieferwagen. Er kroch von der unteren rechten zur oberen linken Ecke des Schirms auf eine dort andeutungsweise zu erkennende Unterführung zu, hielt an, vermutlich vor einer roten Ampel, und verschwand aus dem Sichtbereich der Kamera.
    Ich schaute Gadlem fragend an. »Achten Sie auf die Flecken«, sagte er. Er drückte auf den schnellen Vorlauf und ließ die kleinen Autos wieder flitzen. »Man hat das Band für uns zusammengeschnitten. Eine Stunde und einen Wechsel später. Hallo!« Er drückte Play, es folgten ein, zwei, drei andere Fahrzeuge, dann fuhr der weiße Lieferwagen ins Bild. Es konnte nur derselbe sein, und er strebte in die entgegengesetzte Richtung, zurück dorthin, woher er gekommen war. Diesmal fing die kleine Kamera die Nummernschilder der Fahrzeuge ein.
    Er war zu schnell vorbei. Ich spielte auf den Bedientasten an dem eingebauten Rekorder, der Lieferwagen sauste rückwärts zurück ins Bild, ich ließ ihn ein paar Meter vorfahren, stoppte. Video war nicht DVD, das Standbild verwabert, der erstarrte Van bebte wie ein unentschlossenes Elektron zwischen zwei Polen. Ich konnte die Nummernschilder nicht genau erkennen, doch was ich sah, ließ nur begrenzte Deutungsmöglichkeiten zu: ein vye oder ein bye, zsec oder kho, eine 7 oder eine 1 und so weiter. Ich zog mein Notizbuch heraus und blätterte.
    »Da geht es los«, murmelte Gadlem. »Er hat etwas in der Nase, meine Damen und Herren. Unser Freund hat Witterung aufgenommen.« Seite um Seite zurück, Tag um Tag. Ich stutzte. »Eine Glühbirne über seinem Kopf, ich sehe sie, Damen und Herren. Vierzig, nein, sechzig, nein, hundert Watt - ihm will ein Licht aufgehen ...«
    »Mist«, sagte ich.
    »Borlú, Sie sprechen ein wahres Wort gelassen aus.«
    »Mist, das ist Khuruschs Lieferwagen.«
    »Der Kandidat hat hundert Punkte! Es handelt sich in der Tat um den Lieferwagen von Mikyael Khurusch«. Das Fahrzeug, in dem Mahalias Leichnam über die Grenze transportiert worden war und aus dem man sie schließlich hinausgeworfen hatte. Ich schaute auf die Datumsanzeige. In dem Moment, in dem ich ihn hier auf den Bildschirm gebannt vor mir sah, lag nach aller

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