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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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stapelten sich in Ecken und auf Tischen, steckten in Plastiktonnen. Aufgerissene Umschläge und heruntergeflatterte Briefe lagen auf dem Boden verstreut, von Stiefelabdrücken gezeichnet, und auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers thronte ein zerfleddertes Päckchen, aus dessen Inneren sich die elektrischen Eingeweide reckten wie die Staubgefäße aus einer Blüte.
    »Das ist der Zündungsmechanismus«, erklärte der Mann. Ich las das Illit auf seinem Brustpanzer: Er hieß Tairo. Er richtete seine Worte ausschließlich an Dhatt, ließ mich links liegen. Der rote Punkt seines Laserpointers bezeichnete die Details, die er erläuterte. »Zwei Schichten Verpackung.« Krickelkrakel mit dem roten Punkt über das ganze Papier. »Man öffnet die erste und nichts passiert. Man öffnet die zweite ...« Fingerschnippen, der rote Punkt auf den Drähten. »Nett gemacht. Klassische Methode.«
    »Altmodisch?«
    »Nein, nur eben nicht mit Fransen und Spitzen. Aber nett gemacht. Auch nicht bloß Schall und Rauch - das Dingelchen war kein Knallfrosch, es sollte den Empfänger plattmachen. Und noch was. Sehen Sie das hier? Sehr zielgerichtet. Der Zünder ist mit dieser Lasche gekoppelt.« Die Reste davon sichtbar an der inneren Umhüllung, ein roter Streifen mit dem Aufdruck - in Besź - Zum Öffnen hier ziehen. »Wer immer der Aufforderung Folge leistet, kriegt die volle Ladung ins Gesicht und fällt um. Doch der, der danebensteht, muss sich, wenn er nicht gerade ein Riesenpech hat, nur mal eben die Haare kämmen. Die Explosion ist zielgerichtet.«
    »Ist die Bombe entschärft?«, fragte ich Tairo. »Kann ich sie anfassen?«
    Er schaute nicht mich an, sondern Dhatt, der ihn mit einem Kopfnicken aufforderte zu antworten.
    »Fingerabdrücke«, meinte Tairo schulterzuckend. Ich nahm einen Kugelschreiber von einem der Regale und entfernte die Mine, um nicht versehentlich irgendwo Tintenspuren zu hinterlassen. Behutsam drückte ich das zerrissene Papier der inneren Verpackung nach unten. Trotz der groben Öffnungsmethoden der Bombenentschärfer konnte man den Namen lesen, der darauf stand: David Bowden.
    »Sehen Sie sich das an.« Tairo hob den Karton samt Umhüllung vorsichtig ein wenig an. Auf der Innenseite der äußeren Schicht Packpapier stand handschriftlich in Illit: Das Herz eines Wolfs. Ich erkannte die Zeile, konnte sie aber nicht unterbringen. Tairo sang ein paar Takte und grinste.
    »Ist ein altes Heimatlied«, bemerkte Dhatt.
    »Die Bombe war keine Angstmache, sollte aber auch keine große Zerstörung anrichten«, sagte Dhatt leise zu mir. Wir saßen in dem Büro, das man für uns frei gemacht hatte. Uns gegenüber am Tisch saß Aikam Tsueh und bemühte sich, höflich wegzuhören. »Das war ein Blattschuss. Warum, verdammt?«
    »Mit einem Zitat in Illit und abgeschickt in Besźel«, fügte ich hinzu.
    Die Suche nach Fingerabdrücken ergab nichts Brauchbares. Auf beide Verpackungsschichten war geschrieben worden, in großer Eile oder von einer ungeübten Hand, die Adresse auf die äußere und Bowdens Name auf die innere. Aufgegeben worden war das Päckchen in Besźel, in einem reinräumlich nicht weit von der Ausgrabung entfernten Postamt, doch war die Zustellung selbstverständlich auf dem langen Weg durch die Kopula erfolgt.
    »Wir übergeben es der KTU«, meinte Dhatt. »Die können versuchen, den Absender herauszufinden, aber im Grunde genommen stehen wir mit leeren Händen da. Vielleicht finden Ihre Leute drüben etwas heraus.« Die Chancen, den Postweg des Päckchens über die Stationen sowohl in Ul Qoma wie in Besźel zu rekonstruieren, waren gering bis nicht vorhanden.
    »Dhatt.« Ich vergewisserte mich, dass Aikam uns nicht hörte. »Wir wissen, Mahalia war bei eingefleischten Nationalisten in Besźel alles andere als gut angeschrieben. Ich weiß, ich weiß, vergleichbare Organisationen existieren in Ul Qoma nicht, doch falls durch irgendeinen unvermeidbaren Fehler im System auch hier ein paar Vertreter dieser Spezies Wurzeln schlagen konnten, besteht da nicht die große Wahrscheinlichkeit, dass Mahalia auch bei ihnen angeeckt ist? Immerhin beschäftigte sie sich mit Themen, die geeignet sein könnten, das vaterländisch gestimmte Gemüt in Wallung zu bringen. Sie wissen schon, die Macht Ul Qomas unterminieren, geheime Gemeinschaften, durchlässige Grenzen und so weiter.«
    Dhatt betrachtete mich mit ausdrucksloser Miene. »Richtig«, äußerte er schließlich.
    »Zwei von zwei Studenten mit einem speziellen

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