Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson

auszufüh ren, aber Einsamkeit war in Diaspar nicht immer leicht zu haben. Er hatte kaum sein Zimmer verlassen, als er auf Alystra stieß, die noch nicht einmal den Versuch machte, ihr Zusammentreffen wie einen Zufall aussehen zu lassen.
    Es war Alvin nie zu Bewusstsein gekommen, dass Alystra schön war, weil er nie menschliche Hässlichkeit gesehen hatte. Wenn Schönheit etwas Universelles ist, ver liert sie ihre Macht, die Herzen zu rühren, und nur ihre Abwesenheit kann Gefühle auslösen.
    Einen Augenblick war Alvin von der Begegnung unangenehm berührt. Er war noch zu jung und besaß zu viel Selbstvertrauen, um das Bedürfnis nach einer dauernden Verbindung zu haben. Trotz seines voll ausgeformten Körpers war er noch ein Kind und würde es noch Jahrzehnte lang bleiben, während seine Kameraden nach und nach die Erinnerung an ihre früheren Lebensperioden wiedergewinnen und ihn weit hinter sich lassen würden. Er hatte gesehen, wie das zuging, und es hielt ihn davon ab, sich uneingeschränkt an einen anderen Menschen anzuschließen. Selbst Alystra, die jetzt so arglos und frisch schien, würde bald ein komplexes Wesen aus Erinnerungen und Talenten jenseits seiner Vorstellungskraft sein.
    Sein Ärger verrauchte sofort. Warum sollte ihn Alystra nicht begleiten, wenn sie es wünschte? Er war nicht selbst süchtig und wollte seine neue Erfahrung nicht wie ein Geizhals für sich behalten. Vielleicht konnte er sogar von ihr lernen.
    Als sie der Expresskanal aus der überfüllten Stadtmitte hinausführte, stellte sie erstaunlicherweise keine Fragen. Gemeinsam arbeiteten sie sich zur Schnellstraße durch, ohne dem Wunder zu ihren Füßen einen Blick zu schenken. Ein Techniker der alten Welt wäre bei dem Versuch zu begreifen, wie eine anscheinend feste Straße an den Seiten starr bleiben konnte, während sie sich in der Mitte mit ständig steigender Geschwindigkeit dahinbewegte, an den Rand des Wahnsinns geraten. Aber Alvin und Alystra schien es ganz natürlich, dass es Materie gab, die einerseits die Ei genschaften fester, andererseits die flüssiger Stoffe aufwies.
    Rings um sie herum wuchsen die Gebäude höher und höher in den Himmel hinein, als verstärke die Stadt ihre Befestigungen gegen die Außenwelt. Wie merkwürdig wäre es, dachte Alvin, wenn diese hochragenden Mauern durch sichtig wie Glas wären und man das Leben hinter ihnen beobachten könnte. Überall um ihn herum lebten Freunde von ihm, die er gut kannte, Freunde, die er eines Tages kennen, und Freunde, die er niemals treffen würde – obwohl sie nur sehr wenige sein würden, weil er im Lauf seines Lebens nahezu alle Menschen in Diaspar kennenlernen konnte. Die meisten würden jetzt in ihren jeweiligen Zimmern sitzen, aber sie würden nicht allein sein. Sie langweilten sich nicht, weil sie zu all dem Zugang hatten, das in den Bereichen der Fantasie und Wirklichkeit seit der Gründung der Stadt geschehen war. Für Menschen mit ihrer geistigen Einstellung war das ein völlig befriedigendes Dasein. Dass es auch ein völlig nutzloses war, begriff noch nicht einmal Alvin.
    Während sich Alvin und Alystra von der Stadtmitte entfernten, nahm die Anzahl der Leute in den Straßen langsam ab, und als sie sanft vor einer langgestreckten Plattform aus farbigem Marmor abgesetzt wurden, war niemand mehr zu sehen. Sie traten über den erstarrten Materiestrudel, von dem aus die Substanz der fließenden Straße zu ihrem Ursprung zurückkehrte, und standen vor einer mit hell erleuchteten Tunneleingängen gespickten Mauer. Alvin betrat ohne Zögern eine der Öffnungen, Alystra dicht hinter ihm. Das Kraftfeld umschloss sie sofort und transportierte sie vorwärts, während sie sich bequem zurücklegten und ihre Umgebung betrachteten.
    Es schien kaum möglich, dass sie sich in einem Tunnel tief unter der Erde befanden. Die Kunstfertigkeit, die sich in ganz Diaspar verausgabt hatte wie auf einer großen Leinwand, hatte auch hier Spuren hinterlassen. Über ihnen schienen die Himmel den Winden weit offen zu stehen. Ringsumher schimmerten die Türme der Stadt im Sonnenlicht. Das war nicht die Stadt, die Alvin kannte, sondern das Diaspar eines viel früheren Zeitalters. Obwohl ihm die meisten großen Gebäude vertraut waren, gab es feine Unterschiede. Alvin hätte sich gerne länger aufgehalten, aber er konnte die Fortbewegung durch den Tunnel nicht stoppen.
    Viel zu früh landeten sie sachte in einem großen, ellipsenförmigen Raum, der nach allen Seiten Fenster hatte, durch