Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson

bekannt war. Nur ein leichtes Vibrieren zeigte die Bewegung an.
    Diaspar musste jetzt schon viele Kilometer entfernt sein, und über ihm lag die Wüste mit ihren wandernden Sand dünen. Vielleicht raste er gerade in diesem Augenblick unter den Hügeln dahin, die er so oft vom Turm von Loranne aus beobachtet hatte.
    Seine Fantasie eilte ihm nach Lys voraus. Welche Art Stadt würde er dort vorfinden? So sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nur eine andere und kleinere Version Diaspars vorstellen. Er fragte sich, ob Lys überhaupt noch existierte, und beruhigte sich bei dem Gedanken, dass ihn in diesem Fall sein Gefährt doch wohl kaum dorthin tragen würde.
    Plötzlich trat in der Vibration unter seinen Füßen eine spürbare Änderung ein. Das Fahrzeug fuhr langsamer – ohne Frage. Die Zeit musste schneller vergangen sein, als er gedacht hatte; etwas überrascht sah Alvin auf die Anzeige:
    LYS
23 MINUTEN
    Verwirrt und etwas besorgt, presste er sein Gesicht an die durchsichtige Seitenwand. Die Geschwindigkeit ließ die Stollenwand immer noch in einem undeutlichen Grau verschwimmen. Aber jetzt konnte er ab und zu Zeichen erkennen, die ebenso schnell verschwanden, wie sie auftauchten. Und jedes Mal waren sie etwas länger zu sehen.
    Unerwartet wurden die Wände des Stollens zu beiden Seiten weggerissen. Das Fahrzeug glitt nun mit hoher Geschwindigkeit durch eine riesige, leere Halle.
    Gebannt hinausstarrend, konnte Alvin ein kompliziertes Netz von Führungsschienen sehen, die sich kreuzten und vielfach überschnitten, um dann in einem Labyrinth von Tunneln zu verschwinden. Bläuliches Licht flutete von einer hohen Kuppel herab und ließ die Umrisse riesiger Apparate hervortreten. Das Licht blendete so stark, dass seine Augen schmerzten; Alvin begriff, dass dieser Ort nicht für Menschen gedacht war. Einen Augenblick später flitzte sein Fahrzeug an vielen Reihen von Zylindern vorbei, die regungslos über ihren Führungsschienen schwebten. Sie waren wesentlich größer als seiner, und Alvin vermutete, dass sie für den Frachttransport bestimmt waren. Um sie herum gruppierten sich unbegreifliche, vielgelenkige Mechanismen, stumm und unbeweglich.
    Fast so schnell, wie sie aufgetaucht war, verschwand die riesige Halle hinter ihm. Alvin schaute wieder auf die Anzeige. Sie war unverändert; die Fahrt durch die Riesenhöhle hatte nicht einmal eine Minute gedauert. Die Maschine beschleunigte wieder ihre Fahrt; obwohl die Bewegung kaum zu spüren war, rasten die Stollenwände an beiden Seiten mit einer Geschwindigkeit vorbei, die zu schätzen ihm völlig unmöglich war.
    Eine Ewigkeit schien vergangen, als sich die Vibration wieder änderte. Auf der Anzeige stand:
    LYS
1 MINUTE
    Und diese Minute war die längste, die Alvin je erlebt hatte. Immer stärker bremste die Maschine.
    Sanft und geräuschlos glitt der lange Zylinder aus dem Tunnel in eine Kaverne, die derjenigen in Diaspar wie ein Ei dem anderen glich. Einen Augenblick lang war Alvin zu aufgeregt, um irgendetwas genau zu erkennen; die Tür stand schon geraume Zeit offen, ehe er begriff, dass er das Fahrzeug verlassen konnte. Doch bevor er das tat, warf er noch einen letzten Blick auf die Anzeige. Die Worte hatten sich geändert, und ihre Botschaft klang unendlich beruhigend:
    DIASPAR
35 MINUTEN
    Als er nach einem Weg aus der Kaverne zu suchen begann, fand Alvin den ersten Hinweis darauf, dass er sich in einer völlig anderen Zivilisation befand. Der Weg ans Tageslicht führte durch einen langen, breiten Tunnel an einem Ende der Halle – und durch den Tunnel führte eine Treppe hinauf. Derartiges war in Diaspar außergewöhnlich selten; die Architekten der Stadt hatten Rampen und schräge Gänge gebaut, wenn ein Terrainunterschied zu bewältigen war: ein Überbleibsel aus der Zeit, als sich die meisten Roboter noch auf Rädern bewegten und daher Stufen nicht überwinden konnten.
    Die Treppe endete bald vor einem Tor, das sich bei Alvins Näherkommen automatisch öffnete. Er trat in einen kleinen Raum, ähnlich jenem, der ihn in den Schacht unter dem Grabmal Yarlan Zeys hinuntergetragen hatte, und war nicht überrascht, als sich wenige Minuten später die Türen wieder öffneten und den Blick auf einen Gang freigaben, an dessen Ende das Tageslicht schimmerte. Alvin hatte keine Bewegung gespürt, aber er wusste, dass er einige Hundert Meter emporgestiegen sein musste. Er eilte mit klopfendem Herzen hinauf zu der sonnenbeschienenen Öffnung. All seine Angst war