Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
sichtbare Rechteck der Tür einrahmte; einen Augenblick herrschte gespanntes Schweigen, während jeder auf ein Wort des anderen wartete.
Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Es gab ein leichtes Flackern, und die Wand der Maschine hatte sich wieder geschlossen.
Als Alvin die Hand zum Abschied grüßend erhob, setzte sich bereits der lange Zylinder in Bewegung. Ehe er in den Stollen hineinfuhr, bewegte er sich bereits schneller, als ein Mensch laufen konnte.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der jeden Tag Millionen Menschen in ähnlichen Konstruktionen solche Fahrten unternommen hatten, wenn sie zwischen Wohnung und Beruf hin und her wechselten. Seit jenen fernen Tagen hatte der Mensch das Universum erforscht und war wieder zur Erde zurückgekehrt – hatte ein Imperium gewonnen und wieder verloren.
Und nun würde wieder eine solche Fahrt stattfinden in einem Fortbewegungsmittel, das für Legionen von Unbekannten etwas Selbstverständliches gewesen war. Vielleicht wurde sie zu der bedeutsamsten Fahrt, die seit Millionen Jahren stattgefunden hatte.
Alystra hatte das Grabmal immer wieder durchsucht, obwohl einmal genügt hätte, weil sich niemand irgendwo hätte verstecken können. Nach dem ersten Schock hatte sie sich gefragt, ob sie nicht nur den Abbildern Alvins und Khedrons durch den Park gefolgt war. Aber das wäre absurd gewesen; kein vernünftiger Mensch würde sein Bild kilometerweit gehen lassen, wenn er sein Ziel sofort erreichen konnte, indem er sein Bild augenblicklich an jedem beliebigen Ort materialisierte. Nein; es waren der wirkliche Alvin und der wirkliche Khedron gewesen, denen sie in das Grabmal gefolgt war.
Also musste es irgendwo einen geheimen Eingang geben. Sie konnte sich genauso gut auf die Suche danach machen, während sie auf die beiden wartete.
Wie der Zufall es wollte, verfehlte sie Khedrons Wiederauftauchen, weil sie gerade eine Säule hinter der Statue untersuchte, als er auf der anderen Seite heraufkam. Sie hörte seine Schritte, wandte sich um und sah, dass er allein war.
»Wo ist Alvin?«, schrie sie ihn an.
Es dauerte eine Weile, bis der Spaßmacher antwortete. Er sah verwirrt und unentschlossen aus, und Alystra muss te ihre Frage wiederholen, ehe er überhaupt von ihr Notiz nahm. Ihre Anwesenheit schien ihn nicht im Mindesten zu überraschen.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, erwiderte er schließlich. »Ich kann dir nur sagen, dass er sich auf dem Weg nach Lys befindet. Jetzt weißt du genauso viel wie ich.«
Es war meistens besser, Khedrons Aussprüche nicht allzu wörtlich zu nehmen. Aber Alystra brauchte heute keine Bestätigung dafür, dass der Spaßmacher seine Rolle nicht spielte. Er sagte die Wahrheit – was immer sie auch bedeutete.
Zehn
Zehn
Als sich die Tür hinter ihm schloss, ließ sich Alvin in den nächstbesten Sessel fallen. Die Kraft war plötzlich aus seinen Beinen gewichen; jetzt endlich spürte er wie nie zuvor die Angst vor dem Unbekannten, die seine Mitbürger ständig gepackt hielt. Er zitterte am ganzen Leib, und sein Blick trübte sich. Wenn es möglich gewesen wäre, aus diesem rasenden Zylinder zu fliehen, hätte er es getan, auch um den Preis der Aufgabe all seiner Träume.
Es war nicht allein Angst, sondern auch ein Gefühl un aussprechlicher Einsamkeit. Alles, was er kannte und liebte, war in Diaspar; selbst wenn er keiner Gefahr entgegenging, konnte es sein, dass er seine Welt niemals wiedersah. Er allein von allen Lebenden wusste, was es bedeutete, seine Heimat für immer zu verlassen. In diesem Augenblick schien es völlig unwichtig, ob der Weg, den er gewählt hatte, in Gefahr oder Sicherheit führte; jetzt wusste er nur, dass er von seinem Zuhause wegführte.
Die Stimmung verflog langsam; die dunklen Schatten hoben sich von seiner Seele. Er begann seiner Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken. Es schien Alvin nicht besonders seltsam oder wunderbar, dass dieses Untergrund- Transportsystem immer noch funktionierte. Es befand sich nicht in den Ewigkeitsanlagen der Stadtmonitoren, aber es musste an anderer Stelle ähnliche Anlagen geben, die es vor Veränderung oder Verfall bewahrten.
Zum ersten Mal bemerkte er die Anzeige auf der Wand vor sich. Auf ihr stand die kurze, aber beruhigende Mitteilung:
LYS
35 MINUTEN
Während er noch darauf starrte, veränderte sich die Zahl in 34. Das zumindest war eine nützliche Information, wenn es ihm auch über die Länge der Reisestrecke nichts verriet, weil ihm die Geschwindigkeit der Maschine nicht
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