Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
das durch die durchscheinenden Wände dringende Sonnenlicht verlieh allem einen sanften, beruhigenden Schimmer. Der Boden glänzte und war kunstvoll mit Mosaiksteinen ausgelegt. An den Wänden hatte ein großartiger Künstler eine Reihe von Waldszenen geschaffen. Zwischen den Gemälden befanden sich andere Wandzeichnungen, die Alvin nicht verstand, die aber trotzdem angenehm wirkten. In eine Wand eingelassen, fand sich ein rechteckiger Bildschirm, auf dem sich ein Durcheinander von Farben bewegte.
Sie stiegen gemeinsam eine Treppe hinauf, die sie auf das flache Dach des Hauses führte. Von dort aus konnte man die ganze Siedlung überblicken, und Alvin stellte fest, dass sie aus etwa Hundert Gebäuden bestand. In der Ferne öffneten sich die Bäume, um weite Wiesen einzufassen, auf denen verschiedene Arten von Tieren weideten. Alvin kannte sie nicht; die meisten waren Vierbeiner, aber einige besaßen sechs oder sogar acht Beine.
Seranis erwartete ihn im Schatten des Turmes. Alvin versuchte, ihr Alter zu schätzen; ihr langes goldenes Haar war mit Grau durchsetzt, was seiner Vermutung nach als Zeichen des Alters galt. Das Vorhandensein von Kindern, mit allen damit verbundenen Folgerungen, hatte ihn völlig verwirrt. Wo es Geburten gab, musste es auch den Tod geben, und die Lebensdauer in Lys würde sich sicher von der in Diaspar erheblich unterscheiden. Er konnte nicht sagen, ob Seranis fünfzig, fünfhundert oder fünftausend Jahre alt war, aber als er ihr in die Augen sah, spürte er die Weisheit und Reife, die ihm auch an Jeserac aufgefallen war.
Sie deutete auf einen kleinen Sessel, aber obgleich ihre Augen lächelten, sagte sie nichts, bis Alvin es sich bequem gemacht hatte – oder so bequem jedenfalls, wie es ihm unter diesem freundlich beobachtenden Blick möglich war. Dann seufzte sie und begann mit sanfter, tiefer Stimme zu sprechen.
»Eine solche Gelegenheit ergibt sich so selten, dass ich mich bei Ihnen entschuldigen möchte, wenn ich mich nicht korrekt verhalte. Aber dem Gast, auch dem unerwarteten, stehen gewisse Rechte zu. Bevor wir miteinander sprechen, möchte ich Sie auf etwas hinweisen. Ich kann Ihre Gedanken lesen.«
Sie lächelte über Alvins Betroffenheit und fügte schnell hinzu: »Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen. Kein Recht wird mehr respektiert als das der geistigen Privatsphäre. Ich werde nur in Ihre Gedanken eindringen, wenn Sie es mir gestatten. Aber es wäre nicht fair gewesen, Ihnen diese Tatsache vorzuenthalten, und sie dürfte auch erklären, warum wir Sprache als etwas Langsames und Mühsames empfinden. Sie wird hier bei uns nicht oft verwendet.«
Diese Eröffnung wirkte zwar etwas beunruhigend auf Alvin, aber sie überraschte ihn eigentlich nicht. Einst hatten Menschen und Roboter auch diese Macht besessen, und die unveränderlichen Roboter konnten immer noch die geistigen Befehle ihrer Herren aufnehmen. Aber in Diaspar hatte der Mensch diese einst mit seinen Dienern geteilte Gabe verloren.
»Ich weiß nicht, was Sie aus Ihrer Welt hierherführt«, fuhr Seranis fort, »aber wenn Sie nach Zeichen von Leben for schen, ist Ihre Suche nun zu Ende. Von Diaspar abgesehen, befindet sich jenseits unserer Berge nichts als Wüste.«
Es war seltsam, dass Alvin, der vorher so oft bewiesene Tatsachen angezweifelt hatte, die Worte Seranis’ akzep tierte. Seine einzige Reaktion war Traurigkeit darüber, dass das, was man ihn gelehrt hatte, mit dem eben Gehörten fast völlig übereinstimmte.
»Erzählen Sie mir von Lys«, bat er. »Warum sind die Ihren schon so lange von Diaspar abgeschnitten, wenn Sie doch noch immer so viel über uns wissen?«
Seranis lächelte über seinen Eifer.
»Gedulden Sie sich ein wenig«, sagte sie. »Zuerst möchte ich etwas über Sie erfahren. Erzählen Sie, wie Sie den Weg hierherfanden und warum Sie kamen.«
Stockend zuerst, dann mit wachsendem Zutrauen, berichtete Alvin über seine Erlebnisse. Noch nie vorher hatte er mit solchem Freimut gesprochen; hier endlich waren Menschen, die seine Träume nicht verlachten, weil sie wuss ten, dass sie auf Wahrheit beruhten. Ein paarmal unterbrach ihn Seranis mit Fragen, wenn er Dinge berührte, die ihr nicht vertraut waren. Es fiel Alvin schwer, zu begreifen, dass manche Dinge seines Alltagslebens für jemanden unverständlich bleiben mussten, der nie in seiner Stadt gelebt und nicht mit ihrer komplizierten Kultur und gesellschaftlichen Organisation vertraut war. Seranis hörte ihm mit so viel
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