Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
verhalten einen Bruchteil ihrer Kraft. Einen Augenblick lang schien es, als sei nichts geschehen; dann bemerkte Alvin, dass auch die Sonne verschwunden war und die Sterne langsam an dem Schiff vorbeikrochen. Er blickte zurück und sah – nichts. Der Himmel hinter ihm war völlig verschwunden, ausgelöscht von einer Halbkugel der Nacht. Er konnte dabei zusehen, wie die Sterne hineintauchten und wie Funken auf Wasser verlöschten. Das Raumschiff flog jetzt weit schneller als das Licht, und Alvin wusste, dass sie sich nicht mehr im vertrauten Raum von Erde und Sonne befanden.
Als der plötzliche, schwindelerregende Ruck zum dritten Mal erfolgte, hörte sein Herz beinahe auf zu schlagen. Das merkwürdige Verschwimmen der Umgebung war jetzt eindeutig; für einen kurzen Moment schien alles verzerrt. Die Bedeutung, die diese Verzerrung für ihn hatte, wurde ihm wie durch Eingebung blitzartig klar. Sie war real, keine Sinnestäuschung. Als er die dünne Haut der Gegenwart durchbrach, erhaschte er gewissermaßen einen Blick auf die Veränderungen, die im Raum vorgingen.
In derselben Sekunde wuchs das Murmeln der Generatoren zu einem Donnern an, von dem das Schiff erschüttert wurde – zum ersten Mal hörte Alvin, wie sich eine Maschine lautstark beklagte, und er war tief beeindruckt. Dann war alles vorbei, und die plötzliche Stille klingelte in seinen Ohren. Die großen Generatoren hatten ihre Arbeit getan; bis zum Ende der Reise wurden sie nicht mehr gebraucht. Die Sterne glitzerten bläulich weiß und verschwanden im ultravioletten Licht. Aber durch irgendein Wunder der Wissenschaft oder der Natur waren die Sieben Sonnen noch sichtbar, obwohl sich jetzt ihre Lage und Farbe etwas verändert hatten. Das Raumschiff raste durch einen dunklen Tunnel auf sie zu, jenseits der Grenzen von Raum und Zeit, mit einer geistig nicht mehr fassbaren Geschwindigkeit.
Es schien kaum glaublich, dass sie mit einer so großen Geschwindigkeit aus dem Sonnensystem geschleudert worden waren, die sie mitten durch das Zentrum der Milchstraße weit hinaus in die jenseitige große Leere hineintragen würde, wenn ihr nicht Einhalt geboten würde. Weder Alvin noch Hilvar konnten die gewaltige Größe ihrer Reise begreifen; die zu Legenden gewordenen großen Expeditionen hatten die Auffassung des Menschen vom Universum völlig gewandelt, und selbst jetzt, Millionen Jahrhunderte später, waren die alten Erzählungen noch nicht ganz tot. Einst habe es ein Schiff gegeben, so hieß es, das den ganzen Kosmos in der Zeit zwischen Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durchmessen habe. Bei solchen Geschwindigkeiten bedeuteten die Milliarden Kilometer, die zwischen den Sternen lagen, nichts. Alvin jedenfalls kam diese Reise kaum weiter vor als seine erste Fahrt nach Lys, und vielleicht sogar weniger gefährlich.
Es war Hilvar, der für beide sprach, als die Sieben Sonnen langsam immer heller erstrahlten: »Alvin, diese Anordnung kann nicht natürlich sein.«
Der andere nickte.
»Das habe ich schon seit langem vermutet, aber es sieht trotzdem fantastisch aus.«
»Es mag sein, dass dieses System nicht von Menschenhand erschaffen wurde«, stimmte Hilvar zu, »aber es muss seine Entstehung einer Intelligenz verdanken. Die Natur kann diesen vollkommenen Kreis aus Sternen gleicher Helligkeit nicht gebildet haben. Und es gibt im ganzen sichtbaren Universum nichts der Zentralsonne Vergleichbares.«
»Warum könnte man denn so etwas erschaffen haben?«
»Oh, ich kann mir viele Gründe vorstellen. Vielleicht ist es ein Signal, damit fremde Schiffe, die unser Universum besuchen, wissen, wo sie nach Leben suchen müssen. Vielleicht kennzeichnet es den Mittelpunkt der galaktischen Verwaltung. Oder aber – und irgendwie halte ich das für die richtige Erklärung –, es ist einfach das größte aller Kunstwerke. Aber zerbrechen wir uns nicht den Kopf darüber. Bereits in wenigen Stunden werden wir die ganze Wahrheit wissen.«
Wir werden die Wahrheit wissen! Vielleicht, dachte Alvin – aber wie viel von ihr werden wir wirklich jemals wissen? Es schien merkwürdig, dass er jetzt, da er Diaspar und die Erde verließ, wieder an seine geheimnisvolle Herkunft denken musste. Aber vielleicht war das nicht so erstaunlich; er hatte vieles gelernt, seit er zum ersten Mal in Lys angekommen war, ohne jedoch in aller Ruhe darüber nachdenken zu können.
Er konnte jetzt nichts anderes tun als still dazusitzen und abzuwarten; seine nächste Zukunft wurde von dieser wunderbaren
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