Die Stahlkönige
lange in schrecklicher Angst gelebt und gefürchtet, die Nation zu verlieren, die sie auf den Ruinen errichtet hatte, die ihr der Vater hinterließ. Sie hatte den Ratgebern nicht mehr getraut und überall Verrat gewittert. Aber nun kam Hael! Und er brachte seine ganze Armee mit.
»Wundervolle Neuigkeiten, Majestät. Und was plant König Hael?«, erkundigte sich Zina.
»Das weiß ich nicht. Er wollte es nicht aufschreiben, aber ich weiß genau, dass er nichts tut, was er nicht sorgfältig überlegt hat. Er hat ein Ziel und weiß, wie er es erreichen kann.«
»Dann wird vielleicht alles gut, Majestät.«
»Du hörst dich nicht sehr erfreut an, Zina«, stellte Shazad beleidigt fest.
»Nun, Majestät, wenn ein ausländischer König mit einer Armee ins Land kommt, findet oftmals eine Invasion statt.«
»Was? Du weißt doch, dass König Hael seit langem ein guter Freund ist.«
Zina strich sich das Kleid glatt. »Natürlich, Majestät. Aber die Zeiten ändern sich.«
Shazad warf ihr einen finsteren Blick zu. »Wenn er mein Land überfallen will, würde er mir sicher keinen Brief schicken und sein Kommen ankündigen!«
»Natürlich nicht. Majestät kann das besser beurteilen als ich.«
»Genau. Du kannst gehen, Zina. Verbreite die Nachricht, dass ich heute Abend eine Ratsversammlung einberufe.« Die Hofdame erhob sich und verließ den Raum. Lange Zeit starrte Shazad mit eisiger Miene zur Tür. Jetzt musste sie sich auch noch vor Zina hüten.
Die Ratsherren wirkten eindeutig verstört. Sie las ihnen nicht den ganzen Brief vor, erzählte ihnen aber einen Teil des Inhalts.
»Innerhalb eines Monats wird König Hael in Neva eintreffen«, beendete sie ihre Erzählung.
»Auf welchem Weg wird er hierher kommen?«, fragte Bardas.
»Das schreibt er nicht«, log sie. »Wir werden ihn aber gleich erkennen, wenn er erst einmal hier ist.«
»Ja, die Steppenkrieger kann man nicht verwechseln«, sagte Bardas. »Aber was die Mobilmachung unserer Truppen angeht, so ist das alles viel zu überstürzt …«
»Nein, ist es nicht. Ihr fangt sofort damit an. König Hael legt großen Wert darauf und er hat sich in militärischen Angelegenheiten noch nie geirrt. Ich befehle es! Es hat ohne jedes Aufsehen zu geschehen, als handle es sich um ein größeres Manöver.«
»Wie Majestät befehlen«, antwortete Bardas und verneigte sich.
Sie erteilte weitere Befehle, und die Ratsherren gehorchten widerwillig und eilten davon, sie auszuführen. Dann lehnte sie sich zurück und wartete ab. Sie hatte eigene Spione im Palast verteilt. Im Laufe der Nacht brachte man ihr drei Boten: Jeder hatte den Auftrag erhalten, Gasam sofort Mitteilung von Haels Plan zu machen. Shazad gelang es im Handumdrehen, ihnen die Namen ihrer Herren zu entlocken.
Noch vor Morgengrauen waren die Auftraggeber gefangen genommen und hingerichtet worden. Es handelte sich um Lady Zina und zwei Ratsherren. Einer der beiden war Bardas. Es würde keinen weiteren Verrat geben.
KAPITEL FÜNFZEHN
D er Weg durch das Gebirge dauerte lange – wie jedes Mal. Allerdings war er nicht mehr so unerträglich wie früher, denn Hael hatte im Laufe der Zeit Lagerhäuser errichten lassen, in denen Futter, Wasser und Nahrung aufbewahrt wurden. Die Luft war kalt, aber noch war kein Schnee gefallen. Hael schickte die Regimenter einzeln durch den Pass und hieß sie gleichmäßige Abstände einhalten, damit der schmale Weg nicht verstopfte. Seine Häuptlinge waren mit der Prozedur vertraut und das Chaos früherer Überquerungen wurde vermieden.
Der König ritt mit dem ersten Regiment über den Pass. Dort war der Platz des Anführers und er musste während der Reise aufgeplusterte Gemüter beruhigen. Da er wusste, wie unzuverlässig die Herrscher von Omia waren, hatte er dem König gar nicht erst mitgeteilt, dass seine Armee anrückte.
Am Westende des Passes wartete Hael, bis auch die letzten Männer seines Regiments ankamen. An ihrer Spitze ritt er auf die erste Grenzstation zu.
Als sie sich der Straßensperre neben der kleinen Lehmfestung näherten, starrte sie der Wächter entsetzt an und rannte auf die schmuddeligen Gebäude zu. Wenig später verließ eine rundliche Gestalt die Festung und versuchte, einen schlecht sitzenden Brustpanzer festzuschnallen. Die Morgensonne ließ den vergoldeten Helm aufblitzen.
»Bist du König Hael?«, fragte der Mann, als Hael sein Cabo zügelte. »Wir sind nicht auf königlichen Besuch vorbereitet. Wir wussten nicht, dass du kommst!« In
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