Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Gehilfe des Stabschefs für operative Arbeit.
5. und 8. Mai 1943 [630]
Das Gespräch führte Masunin [631]
Ich wurde im Jahre 1908 im Dorf Podojnikow im Rajon Pankruschicha, Region Altai, geboren. In der Armee bin ich seit dem 8. September 1941. Träger des Ordens des Roten Sterns für die Teilnahme an der Verteidigung von Stalingrad. Zivilberuf: Dozent am Pädagogischen Institut Tomsk.
Nach Stalingrad kam ich am 30. September 1942. Schon in etwa zehn Kilometer Entfernung sah ich eine riesige Rauchwand; als ich näher kam, vergrößerte sich der Feuerschein, und es schien, als würde die ganze Stadt brennen. Besonders bedrohlich hatte das Feuer die Fabrik »Roter Oktober« und die Ölraffinerie [632] erfasst, gerade den Abschnitt, wo unsere Division stand. Ans Wolgaufer kam ich, als es schon dunkel wurde. In dem Moment sah Stalingrad einfach entsetzlich aus. Alles stand in Flammen. Aus den zerstörten Tanks der Raffinerie floss Öl das Ufer hinab, und die Spiegelung des Feuerwalls im Wasser verstärkte den Eindruck, die Flammen wären immens groß. Die Lage war sehr ernst.
In der Nacht setzten wir über den Fluss. Die Deutschen beschossen den Kahn, mit dem wir übersetzten. Das Tau des Schleppers, an dem der Lastkahn festgemacht war, war gerissen, der Schlepper fuhr ans Ufer, um ein neues Tau zu holen, wir ankerten in der Flussmitte, und der Gegner beschoss uns. Die ganze Überfahrt dauerte etwa zwei Stunden. Es gab Verwundete auf dem Kahn. Minen detonierten in der Nähe. Besonders unangenehm war, dass die Deutschen Raketen an Fallschirmen [633] abschossen, der Fluss war hell erleuchtet, und wir konnten nicht weg.
In der Nacht auf den 1. Oktober traf ich bei meinem Regiment ein. Um mich mit der operativen Lage vertraut zu machen, ging ich am Morgen den ganzen Regimentsabschnitt an der vordersten Linie ab. Da bekam ich eine Menge schrecklicher Dinge zu sehen. Ende September hatten die Deutschen Stellungen unserer Division bombardiert, besonders die Raffinerien, wo wir einen Verteidigungsabschnitt übernommen hatten. Es gab viele Tote bei uns: Die Männer lagen unbeerdigt überall herum, viele Leichen lagen in Trichtern, es gab viele zivile Tote, Frauen und Kinder, in der Nähe von Booten, von Gebäuden – überall.
Ich ging gleich zur Stahlfabrik »Metis« [634] . Die Fabrik brannte. Brandgeruch, Leichengeruch, Hitze, Staub, Rauch – das war der Eindruck, den man bekam. Im Abschnitt des 1. Bataillons wurde gekämpft.
Stabschef Piterski, Benesch, der Kommandant des 1. Schützenbataillons, und ich kontrollierten den gesamten Regimentsabschnitt, brachten ihn in Ordnung hinsichtlich der Verteilung von Gefechtspunkten und MG-Nestern und kehrten abends zum Gefechtsstand zurück. Der Gefechtsstand befand sich am rechten Wolgaufer, etwa 300, 400 Meter von der vordersten Linie entfernt.
Vom 30. September an war ich ununterbrochen 152 Tage in Stalingrad. Fast niemand kehrte aus Stalingrad ans linke Wolgaufer zurück, in welcher Angelegenheit auch immer. Man kann sagen, dass diese in Stalingrad verlebten fünf Monate fünf Jahren des weiteren Lebens entsprachen.
Ich erfuhr, dass wir am ersten Kampftag durch Tod und Verwundung Verluste um die 500 Mann hatten und dass am 5. Oktober 1300 Mann im Regiment waren. Es gab Kompanien mit 20, 25 aktiven Bajonetten.
Anfang Oktober mussten besonders oft Gegenangriffe an zwei Punkten unseres Verteidigungsabschnittes abgewehrt werden, bei der Fabrik »Metis« und auf dem berühmten Mamajew-Hügel, Höhe 102,0.
Die vorderste Linie unserer Verteidigung hatte sich der deutschen Verteidigungslinie um 50, 60, maximal 100 Meter angenähert. Eine so extreme Nähe war selten. Am häufigsten gab es eine so extreme Annäherung bei Straßenkämpfen, die sofort den Einsatz von Handgranaten auf den Plan riefen. Ein Angriff wurde in der Regel mit Granaten abgewehrt und natürlich mit anderen Waffentypen. Auf unserem Abschnitt waren uns die Deutschen zahlenmäßig fünf-, sechsmal überlegen. Das beruht auf Daten der Aufklärung, auf Beobachtung, auf anderen Daten, und zudem schickten die Deutschen ihre Abteilungen in Wellen los. Es gab Tage, und nicht selten, wo die Deutschen uns vier-, fünfmal am Tag angriffen. […]
Mitte Oktober gab es die heftigste Schlacht auf diesem Abschnitt. Als Historiker versuchte ich, Vergleiche zu bekannten Schlachten in der Geschichte zu ziehen, Borodino, Verdun [635] im imperialistischen Krieg, aber das passte alles
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