Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
offenbar waren die Waffen nicht geladen gewesen, die Patronen gingen aus, und während eines Angriffs ist keine Zeit nachzuladen. Aber auch uns gingen die Patronen aus. Ich weiß noch, dass einem Leutnant der Riemen vom MPi-Gurt riss, er nahm ihn am Ende und schlug ihn dem Deutschen über den Schädel. Die gaben Fersengeld. Wir ihnen nach. Hinter mir reihte sich ein Deutscher ein und lief mit. Oberleutnant Kulinitsch sagte:
»Genosse Kommandeur, ein Deutscher.«
Ich feuerte mit der MPi, er brach zusammen. Der Deutsche hatte nicht mal ein Gewehr gehabt. In dieser Situation fiel Unterleutnant Panytschkin.
Als ich zwei Granaten geworfen hatte und sah, dass der Nahkampf begonnen hatte, holte ich die dritte Granate aus der Tasche, nahm die Pistole in die Linke, entsicherte die Granate. Da war noch eine Gruppe von fünf bis acht Deutschen. Ich hatte mich gerade umgedreht, wollte die Granate werfen, da warf ein Deutscher eine Handgranate, und sie traf mich an der Brust. Vor der Detonation gab es einen kleinen Funken, der Zünder brannte. Sie prallte von meiner Brust ab, schnellte etwa fünf Meter weit weg. Ich schaffte es nur noch, mir die Hände vors Gesicht zu halten. Ich hätte mich hinwerfen müssen, aber ich war etwas durcheinander. In dem Moment detonierte die Granate, zwei Splitter drangen mir in den rechten Unterarm, einer ins linke Bein oberhalb des Knies.
Gerade da schrie der Kommissar »Hurra!«, und in dem Moment flog ihm eine Kugel in den Mund, streifte die Zunge, verletzte die Zähne und trat am Kinn wieder aus. Eine zweite Kugel traf ihn am linken Unterkiefer. Er rief mir zu:
»Alexander Akimowitsch, ich bin verwundet.«
Ich sagte:
»Ich auch. Kannst du gehen?«
»Ja.«
»Dann geh, ich werde den Männern raushelfen.«
Oberleutnant Kulinitsch rief auch, dass er verwundet sei.
Vom Rotarmisten Guljutkin muss ich noch erzählen. Als am 8. mein Adjutant Schichanow vermisst wurde, nahm ich mir den MPi-Schützen Guljutkin als Adjutanten. Ein kleines, unscheinbares, mageres Bürschchen, 1921 oder 1922 geboren. Ich muss sagen, dass er im Kampf – dreimal hatte ich vorher schon einen Angriff geführt – immer hinter mir war, nicht einen Moment zurückblieb, die ganze Zeit mahnte, mich erinnerte:
»Genosse Oberstleutnant, Sie riskieren Ihr Leben, Sie können getötet werden, dann wird alles nur noch schlimmer, wenn die Führung umkommt.«
Bei einem der Angriffe, als man mir in der Gegend des Sägewerks die Schützenkompanie des Genossen Nasarow zur Verstärkung geschickt hatte, gab ich den Befehl, den Gegner anzugreifen. Der Kompaniechef brachte die Leute nicht hoch – heftiges Granatwerfer-, MG- und MPi-Feuer. Es war Abend. Häuser brannten. Meine Mütze flog weg – es war windig. Ich lief der Mütze nach. Fragte: »Warum geht ihr nicht vorwärts?« Zog die Pistole.
»Vorwärts!«, schrie ich. »Unverzüglich angreifen!« Denn der Gegner war schon auf 150 Meter herangekommen.
Sie rührten sich nicht. Ich lief vor die Kompanie, stand da, mit der Pistole in der Hand:
»Genossen, mir nach, vorwärts, zum Angriff, hurra!«
Sie schauten mich an. Bei allen erschien ein Lächeln auf dem Gesicht. Alle standen auf, und die ganze Kompanie lief mir nach und griff an. Rotarmist Guljutkin sagte:
»Laufen Sie nicht voran, da ist MG-Feuer.«
Er lief immer auf der Seite des gegnerischen Feuers mit, deckte mich mit seinem Körper. Dann ließ er sich ablenken; als ich »Vorwärts!« rief, hob er ebenfalls seine MPi und schrie »Vorwärts!«, doch dann besann er sich und sagte:
»Weiter dürfen Sie nicht, hier ist es gefährlich.«
Ich sah, dass es für mich nichts mehr zu tun gab, und ging zum Gefechtsstand.
Als ich mit den Stäben ausbrach, hielt er mich am linken Ärmel fest, um mich nicht zu verlieren, mit der anderen Hand hielt er die MPi und deckte mich mit seinem Körper. Er wurde an beiden Armen verwundet. Dieselbe Granate verwundete uns beide. Wenn ich von ihm erzähle … Ich kann nicht an ihn denken ohne … Ein außerordentlich ergebener Mann.
Als wir beide verwundet wurden, sagte er nicht, dass er verwundet war, sondern fragte:
»Sind Sie am Leben, Genosse Oberstleutnant?«
»Ja«, sagte ich.
Als ich verwundet worden war, war ich gestürzt. Er dachte, ich wäre getötet worden. Ich sagte:
»Ja, ich bin am Leben. Und Sie?«
»Ich«, sagte er, »bin ein bisschen am Arm verwundet.«
Mit dem verwundeten Arm lief er die ganze Zeit neben mir, versuchte, mich zu decken. Ich wurde schon böse,
Weitere Kostenlose Bücher