Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
Vom Netzwerk:
nicht, denn die Dimensionen der Stalingrad-Schlacht lassen sich schwer vergleichen. Es schien, als hätte die Erde in Stalingrad tagelang Feuer geatmet. Unsere »Iljuschins« [636]   tauchten zwar hin und wieder auf, erlitten aber große Verluste. Damals wurden sie von Messerschmitts schnell abgeschossen. Unsere Polikarpow U-2 fügten den Deutschen in der Nacht zwar erhebliche Verluste zu, aber erst später, im November. Wir nannten diese Flugzeuge »Gemüsegärtner«, und sie brachten enormen Nutzen. Sie flogen vom linken zum rechten Wolgaufer, und bevor sie die Verteidigungsstellungen des Gegners erreicht hatten, schalteten sie den Motor aus und warfen ihre Bombenfracht ab, und erst wenn sie beigedreht hatten, schalteten sie den Motor wieder ein. Deshalb konnte man die U-2 nicht kriegen. Aber die Deutschen bombardierten uns nachts genauso.
    Ich weiß noch, wie ich einmal vom Fleischkombinat [637]   zum Gefechtsstand des Regiments gehen musste. Wir waren kaum draußen, als die Deutschen eine Rakete abschossen und so zu bombardieren anfingen, dass das ganze Gebäude bebte. Nächtliche Bombardements haben eine sehr unangenehme Wirkung; tagsüber sahen wir immerhin die Flugrichtung des Bombers, wir wussten, wie die Bombe fallen würde, und gerieten nicht in Panik wegen eines Bombardements – schließlich waren wir daran gewöhnt.
    Übrigens habe ich über Stalingrad zum ersten Mal unsere angreifenden Bomber mit »Katjuschas« [638]   gesehen, aber sie tauchten dort selten auf. Generell kann man sagen, dass wenig Luftwaffe in Stalingrad war und dass sie schwach war. Keine Ahnung, warum.
    Ich weiß nicht, warum, aber fast alle Männer in der Division hatten Durchfall. Sie tranken Wasser, das nicht abgekocht war, und die Wolga war verschmutzt, von Erdöl, von Leichen, von Baumstämmen usw. Der Durchfall schwächte alle sehr. Ich war selbst lange krank. General Tschuikow, der Oberbefehlshaber der Armee, hatte einen Koch, Boris, der lachend sagte, er würde uns mit Generalszwieback heilen. Damals war der Befehlshaber der Armee in den Gefechtsstand unseres Regiments umgezogen, und seine und die Regimentsküche wurden zusammengelegt, deshalb sagte der Koch das.
    Mitte Oktober hatte unsere vorderste Linie sich gefestigt. Auf dem Mamajew-Hügel bedrängten die Deutschen uns nicht mehr, im Gegenteil, wir bedrängten sie jetzt ein wenig. Der Mamajew-Hügel war in zwei Teile geteilt. Den Osthang hatten wir, die Westhänge sie, und die Deutschen besaßen außerdem die Wasserhochbehälter, die Teufelskuppeln, wie sie genannt wurden. In den Behältern hatten sie ihre wichtigsten Beobachtungspunkte, alle Artilleriebeobachter waren vor unserer vorderen Linie in Sicherheit, weil sie in den Dingern saßen. Deshalb hatten die Deutschen auf dem Mamajew-Hügel die Oberhand. Aus diesem Grund waren auch die späteren Gefechte um den Mamajew-Hügel im Wesentlichen Gefechte um die Wasserhochbehälter: Wer die in der Hand hatte, der hatte den Hügel in der Hand. […]
    Mangel an Munition hatten wir nie. Erst als die Wolga Eisgang hatte, wurde es schlechter damit, aber vorher litten wir nicht unter Munitionsknappheit. Der Transport von Munition vom linken Wolgaufer aus geschah ausschließlich in wackligen kleinen Booten. Der Divisionsumschlagpunkt [639]   befand sich am linken Ufer. Für die Beförderung von Munition und Verpflegung ans rechte Ufer war jedes Regiment alleinverantwortlich. Die Armee hatte eine fliegende Reparaturabteilung am rechten Ufer, aber die brachte nur sehr selten Munition mit.
    Nach dem Befehl von Oberbefehlshaber Tschuikow und dem Divisionskommandeur musste man seine eigenen Fährmittel haben. Die Lastkähne waren allesamt zerstört, verbrannt oder abgesoffen. Sogar große Kutter lagen am Ufer, den Bug in die Luft gestreckt. Das einzige Transportmittel waren kleine Boote. Anfangs gab es sieben Boote im Regiment, dann erhöhte sich die Zahl auf zehn, darunter waren zwei Pontons, genauer gesagt: Teile von einem Ponton. Unsere Flottille nannten wir zum Spaß »Korobkow-Flottille«. Korobkow war der Gehilfe des Stabschefs für Rückwärtiges, und er hatte die Flottille selbst zusammengestellt. Übrigens ist er außerdem ehemaliger Lehrer und Schuldirektor, ein phantastischer Organisator und Mitarbeiter der rückwärtigen Dienste. Er ist gesund und munter und wurde mit einer Medaille für Verdienste im Kampf ausgezeichnet. Die Wackelboote erwiesen sich als wassertüchtigstes Transportmittel über die Wolga.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher