Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
die Versammlung zu Ende war, war es irgendwie ganz still. An der Sitzung hatten der Milizchef, der Stabschef vom Luftschutz und der Direktor der Fabrik »Rote Wache« teilgenommen. Es wurde Protokoll geführt, ganz formlos in ein Heft geschrieben, das ist alles erhalten geblieben. Der Stabschef sagte: »Ich gehe mal nachschauen, was da so alarmierend ist.« Am Tag vorher, am 13., hatte er [der Feind] uns heftig bombardiert, wie besessen. […] Als der Stabschef losging, um zu erfahren, warum so eine unheimliche, unheilverkündende Stille herrschte, ging plötzlich Miliz in schwarzen Anzügen an uns vorbei. MPis, hinten Taschen umgehängt und alle gleich angezogen. Sie gingen vorbei. Wir dachten, das wäre unsere Miliz, und sagten: »Geht die Miliz noch vor uns zum Haus der Spezialisten?« Das waren, wie sich herausstellte, deutsche MPi-Schützen gewesen, die vorbeigingen und sich im Haus der Spezialisten einnisteten, und wir saßen hier, 50 Meter entfernt. Es war gegen drei Uhr. Der Stabschef kam und sagte: »Ich schlage vor, unverzüglich wegzufahren, denn auf der Perwomajskaja stehen deutsche Panzer.« Im Dserschinski-Bezirk kamen deutsche Panzer unter der Brücke hergefahren, und die MPi-Schützen waren schon im Haus der Spezialisten.
Major Demtschenko (Kommandant Stalingrads): Am 14. September sickerten deutsche MPi-Schützen in die Stadt ein und besetzten das Haus des NKWD. Ich bekam zu dem Zeitpunkt vom Garnisonschef die Mitteilung, dass Gruppen von MPi-Schützen vom zentralen Flughafen aus über den südlichen Hang des Mamajew-Hügels einsickerten. Er befahl mir, das zu prüfen. Ich nahm drei Mann und brach zur Erkundung auf. Beschloss, zum »Roten Oktober« in die Kommandantur zu gehen, zehn Mann mitzunehmen und zu erkunden, ob es sich so verhielt oder nicht, denn es gab unterschiedliche Gerüchte. […] Ich ging am Wolgaufer entlang und dachte, ich gehe in den »Roten Oktober« und hole mir Leute. Wir kamen zur Nordwerft, da stellte sich heraus, dass die Deutschen die Fähre beschießen. Wir lieferten uns etwa zwei Stunden ein Feuergefecht mit ihnen. Ich holte mir meine Leute. An der Fähre stauten sich etwa 100 Fahrzeuge – man konnte nicht übersetzen, weil mit MGs und MPis gefeuert wurde. Ich nahm etwa 15 Mann zum Haus der Spezialisten mit. Ein Schusswechsel begann – sie von dort, wir von hier. Ein Unter-Politruk wurde verwundet. Ich sah, dass es keinen Sinn hatte. Ging mit meinen Leuten zum GS an der Zariza zurück. Wir kamen zum Chalsunow-Platz. Auf dem Platz stand Flak, direkt am Ufer. Sie wurde von fünf feindlichen Flugzeugen im Sturzflug angegriffen. 15 Meter vom Wolgaufer entfernt stand eine Kanone. Fünf Flugzeuge griffen die Kanone im Sturzflug direkt an. Die Kanone feuerte. Wir sahen, wie die Bomben fielen. Zwei meiner Männer legten sich ins Wasser, ich plumpste in den Graben. Eine Bombe fiel etwa zehn Meter von mir entfernt. Ich wurde hochgeworfen, hingeschleudert, offenbar auch verletzt. Ich musste später sieben Tage liegen. Ich stand auf, fiel wieder hin. Hatte das Gefühl, als wäre etwas gerissen. Meine beiden Kameraden packten mich und brachten mich zum GS. Da fing das Bombardement wieder an. Es stellte sich heraus, dass eine Bombe in die Rückwand des Kommandantur-Gebäudes gefallen war und es in Brand gesetzt hatte. Es war eine Brandbombe. Ich sah, wie die Bombe dorthin fiel, und dachte, tja, die hat wohl alle totgeschlagen. Stand auf. Sah, dass das Gebäude brannte.
Tschujanow (1. Sekretär des Parteikomitees, Gebiet Stalingrad): 14. September. [337] […] Der GS des Verteidigungskomitees befindet sich wenige Meter von der Frontlinie entfernt. Die Telefon- und Telegraphenverbindung mit dem nördlichen und dem südlichen Teil der Stadt ist unterbrochen. Die Faschisten sind an einigen Stellen bis an die Wolga gelangt und haben die Stadt in separate, selbständige Verteidigungsabschnitte zerschlagen. Es wurde der Entschluss gefasst, ans linke Wolgaufer zu ziehen. Mit der Organisation des Übersetzens wurde Iwan Wassiljewitsch Sidorow beauftragt, der Sekretär des Gebietskomitees für Verkehr. […] Spät nachts näherten sich von Krasnaja Sloboda aus zwei Gleitboote dem GS, und wir begannen überzusetzen. Mit der letzten Fuhre waren die Gen. Woronin, Simenkow, ich und meine Helfer unterwegs. Bis zur Mitte der Wolga war es relativ ruhig. Kaum waren wir in der Strommitte, als Raketen über uns hingen. MGs ratterten los.
Wir duckten uns zum Bootsrand. Der Bootsführer
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